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Der Sonntagsmonat

Der Sonntagsmonat

Titel: Der Sonntagsmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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die Absicht, es dir zu beschreiben. Ich habe dich nicht aufgefordert, mir nachzuspionieren.»
    «Mein Gott», ächzte ich, «wie hätte ich das unterlassen können, wo du deine dicke schwarze Möse von Auto direkt unter meiner Nase geparkt hast! Das letzte Mal, als sie da stand, bin ich runtergekommen und habe durchs Fenster geschielt und deinen vollkommen nackten Fuß gesehen.»
    «Das letzte Mal?» sagte Alicia. «Ich glaube nicht, daß wir da miteinander geschlafen haben. Wir haben uns nur unterhalten. Ja, jetzt erinnere ich mich. Ich hatte die Schuhe ausgezogen und die Beine hochgelegt, weil der Fußboden so kalt war. Wer ist bloß auf die Idee gekommen, aus einer Garage mit Zement fußboden eine Wohnung zu machen?»
    «Ich nicht», sagte ich, ohne mich durch ihre Frage ablenken zu lassen. «Das letzte Mal nicht, aber diesmal – wolltest du das damit sagen?»
    «Das meinst du! Du spionierst herum, du stellst Vermutungen an.»
    «Na gut. Wie ist der Bart? Ist der nicht furchtbar kratzig?»
    «Es geht.»
    Damit war es wieder zu einem Faktum geworden, daß sie sich einem anderen hingab, und das ausgerechnet in dem Augenblick, da meine Vorstellung, daß Ned homosexuell oder asexuell sei, langsam aus dem Bereich der Gewißheit in eine Art negativer Verifikation überging. Ich stöhnte – unfreiwillig, denn ich spürte, ganz zu Recht, daß ich mein Quantum an Gestöhne aufgebraucht hatte und daß sie beim nächstenmal in Zorn geraten würde. Ohne sich umzudrehen, zog Alicia den Tirade- Registerknopf, wechselte auf die hart tönenden kleinen Pfeifen über: «Was meinst du wohl, was in mir vorgeht, wenn ich sehe, wie ihr, du und Jane, jeden Sonntag einander Kuhaugen macht, und was meinst du wohl, wie mir zumute ist, wenn du reingerannt kommst und fickst und, hopp, wieder in deine Sachen schlüpfst und abbraust zu irgendeiner in Verehrung ersterbenden Diakonin, nachdem du gehabt hast, was du wolltest, deinen … »

11
    «Deinen Spaß?» «Deine Tour mit mir?» «Deinen Kitzel für die Woche?» Ich habe vergessen, wie sie es genau ausdrückte. Ihr Klagelied ging weiter: meine Unterwürfigkeit in der Ehe, meine seelsorgerischen Aufgaben, mein Ordnungssinn, mein Pflichtbewußtsein – alles wurde mir zum Vorwurf gemacht, alles mit zotigem Spott bedacht, und ich saß in Trauer versunken hinter ihr und sank immer tiefer, je mehr ihre Klage vom Gerechtfertigten ins Absurde umschlug (ich sähe ja sogar aus wie meine Frau, ich hätte vor, Mrs. Harlow zu verführen, und ich würde sie, Alicia, sofort aus ihrer Stellung entlassen, wenn sie je aufhörte, sich «auszuziehen»); und während sie mich beschimpfte, während sie all die heimliche Schmach beschrieb, die unser Verhältnis über sie gebracht hatte, und all die hinfällige Härte, die ein dreißigjähriges Dasein als Frau in Amerika erzeugt hatte, herausließ, gewann eine finstere seelsorgerische Wirklichkeit die Oberhand über meine Liebeswut und meine Phantastereien. Diese Frau war eine in meine Obhut gegebene Seele. Sie schrie das alles aus sich heraus, und ich mußte zuhören – zuhören nicht in der Hoffnung, heilen zu können, denn unsere irdischen Übel entziehen sich aller irdischen Linderung, sondern in einem Akt der Brüderlichkeit unter Kindern, die, wo nicht einem Vater, so doch einer Ehe molekularer Zufälle entstammten. Und tatsächlich fuhren nach einigen Minuten ihre Teufel aus, nahmen Wohnung in Säuen, während die dunklen Häuser vorüberflogen, und wichen von uns. Alicia, die Hände nach wie vor am Lenkrad, schluchzte.
    Ich klemmerte { * } von dem kalten Rücksitz auf den Sitz neben ihr; an den Beinen und im Gesicht spürte ich die Wärme, die mir von der Heizung entgegenströmte. «Es tut mir leid», sagte ich, «wirklich. Es war falsch, daß wir uns in diese Situation gebracht haben.»
    «Ich empfinde das nicht so», sagte sie, und jede Silbe war von Tränen umglitzert.
    «Aber irgend etwas muß falsch sein», führte ich aus, «sonst würdest du jetzt nicht weinen, und ich würde nicht mitten in der Nacht im Pyjama herumlaufen.»
    Sie drehte, endlich, den Kopf und sah mich mit einem raschen Blick an. «Ist das wahr?»
    «Nur das Oberteil», gab ich zu. «Diesmal habe ich mir die Zeit genommen, mir die Hose anzuziehen. Und sogar einen Hut aufzusetzen. Ich habe ihn von meiner Mutter.»
    «Regt es dich so auf? Wenn ich Ned besuche?»
    «Scheint so. Wie gesagt, es tut mir leid. Nimm das als Kompliment.»
    «Was soll ich denn tun?»
    «Nichts. Mach

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