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Der Sonntagsmonat

Der Sonntagsmonat

Titel: Der Sonntagsmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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beharrlich in die Sonntagskluft der Jugendlichen kleidete) die Fähigkeit besaß, mit meiner Geliebten zu kopulieren – mit dem Leib, verzeih mir die plotinische Ausdrucksweise, meiner Seele –, faszinierte mich; seine Haut (nicht gerade, wie ich berichtet habe, der vorteilhafteste Bestandteil seines Äußeren) glühte vor Triumph. Daß er seinen Triumph so beiläufig hinnahm, erhöhte seinen verderbten Glanz in meinen (zugegeben, diese Therapie muß von Erfolg sein) angekränkelten Augen. Hier war ein junger Mann, für den – eine lässige Fußnote zu seinen Gelübden – Unzucht ein ebenso problemloser körperlicher Vorgang wie Spucken war. Sein greifbares Eindringen in das tiefe Gewölbe meiner Leidenschaft und sein Entkommen daraus verlieh ihm für mich die Faszination eines Lazarus – vor meinem inneren Auge sah ich ihn mit dem ungesunden Phosphorschimmer einer auferweckten Leiche umherwandeln. Sein Körper, ja, so ist es, hatte blindlings einen Zauberkreis betreten. Ich war nach wie vor sein Vorgesetzter, und der Umstand, daß ich sein Geheimnis kannte, während er von meinem nichts wußte, verschaffte mir einen weiteren Vorteil. Doch die Summe all dessen war Vertrautheit. Der Himmel verzeih mir, aber ich begann ihn zu lieben.
    Oder begann doch zumindest, ihm zuzuhören. Seine Anschauungen, die ich früher als hoffnungslos durch modische Marotten kompromittiert abgetan hatte, als die wahre Erscheinungsform des Turms zu Babel, den, wie Karl Barth sagt, unsere lediglich menschliche Religiösität errichtet, interessierten mich jetzt irgendwie.
    Ned kümmerte sich nicht nur um die Jugend unserer Gemeinde, sondern auch um die der Stadt; er hatte mit Drogenabhängigen zu tun, deren Lossagung von unseren spezifisch menschlichen Gaben der Willensentscheidung und der organisierten Anstrengung meinen Geist nur mit lähmendem Entsetzen erfüllte. «Du betrachtest sie», sagte Ned ein wenig überrascht zu mir, «als Unberührbare.»
    «Haben nicht vielmehr sie», fragte ich, «uns alle, die Gesellschaft, die sie umgibt, für unberührbar erklärt?»
    «Du hast dir da im Geist ein Bild gemacht», sagte er zu mir. «Der drogenorientierte Jugendliche ist unternehmungsfreudiger als seine Altersgenossen, und zwar nach allen Regeln der altmodischen Arbeitsmoral: er ist ständig in Betrieb, knüpft Kontakte, und das Vertriebssystem ist mindestens so leistungsfähig wie das von Sears Roebuck. Ein Drogensüchtiger ist ein vielbeschäftigter Bursche. Er muß sich auf Einbruch und Hehlerei verstehen, und er muß lernen, die Polizei reinzulegen und sich vor Gericht zu verteidigen. Das technische Geschick, über das manche von ihnen verfügen, ist bemerkenswert. Allein schon, wie sie sich einen ‹Schuß› verpassen, ist chemischer Anschauungsunterricht. Du mußt es als angewandte Chemie sehen, Tom. Die Chemie ist nun einmal da, wir haben sie immer dafür gebraucht seit der Alchemie.»
    «So ist es. Alchemie, Teufelspakt, der abgekürzte Weg vom Blei zum Gold. Steigt dir bei alledem nicht der Gestank des Bösen in die Nase?»
    Ned zuckte mit den Schultern. «Für sie ist es das höchste Gut. Sie sagen, sie tun niemandem weh, wenn sie duhn sind, erst wenn die Wirkung nachläßt, setzt der Schmerz ein. Und im übrigen ist es ihre eigene Angelegenheit. Warum sollten wir das verurteilen, wo wir doch Luther sein Bier lassen und Buddha seinen Satori-Sitz unter dem Feigenbaum?»
    «Das klingt nicht so, als ob du ihnen Seelsorger wärst, sondern als hättest du dich ihnen angeschlossen.»
    «Hast du mir nicht selbst gesagt, ich sollte mich den Munitionsmachern anschließen?»
    «Den Geschäftsleuten, denke ich, habe ich gesagt.»
    «Munitionsmacher sind Geschäftsleute, wie Geschäftsleute Munitionsmacher sind. Es fehlt kein Glied in der Kette, die von Henry Cog, unserem freundlichen Uhrmacher, zu Napalm hinführt. Gene Rostow, der einzige von Johnsons alter Mannschaft mit dem Mumm zu einem offenen Wort, hat es klar und deutlich in einem Interview gesagt: Wir sind nach Vietnam gegangen, um uns alles offenzuhalten, um uns die Welt offenzuhalten für den Handel.»
    «Lieber offen als zugesperrt», warf ich ein. «Lieber Mammon als Stalin.» Ich hielt ein Glas Bier in der Hand – es war an einem Samstagnachmittag in dem kleinen Haus, in dem Alicia aufs Kreuz gelegt worden war. Kissingers Houdini-Waffenstillstand war in Kraft getreten, wir waren entvietnamisiert und konnten uns in Leidenschaftslosigkeit üben, wo die Flammen des Zorns und

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