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Der Sonntagsmonat

Der Sonntagsmonat

Titel: Der Sonntagsmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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keine Ahnung.
    A LICIA : Dann tut es mir leid, daß ich mich hier so unverblümt an Sie wende. Aber ich bin verzweifelt. Sie hat sich, vielleicht weil die andere ihr durch ihr Verhalten einigen Wind aus den Segeln genommen hat, zu einem brüsken, hektischen Auftreten entschlossen, reißt sich den Schal herunter, legt ihre Notenbücher nieder und geht stampfend hin und her, als wollte sie den Eindruck unbekümmerter, überlegener Vitalität erwecken. Die Wirkung ist eher vulgär, und sie verscherzt sich auf diese Weise das Mitgefühl, um das sie im Grunde wirbt.
    J ANE sehr sanft, nachdem sie sich kräftig geräuspert hat: Wie das?
    A LICIA : Ihr Mann macht einen rasend. Das müssen Sie doch wissen. Sie läßt damit ihre Überzeugung durchblicken, daß J ANE es keineswegs weiß, daß sie überhaupt nichts von ihm (mir) weiß.
    J ANE , Schüchternheit ist ihre zweite Verteidigungslinie: Ich weiß gar nicht, ist das wirklich so? Hier zu Hause war er in letzter Zeit immer recht guter Dinge.
    A LICIA : Jetzt wissen Sie, warum. Darf ich mich setzen, Jane?
    J ANE : Bitte, Alicia, natürlich. Wie wär’s mit einer Tasse Kaffee? Oder einem kleinen Sherry? Ich weiß, es ist noch früh am Tage, aber das scheint mir hier doch eine besondere Gelegenheit zu sein.
    A LICIA : Nein, danke. Ich kann nicht lange bleiben.
    J ANE : Aber Sie haben doch Ihren Mantel ausgezogen. Wann hat diese – Ihre – Liaison mit Tom begonnen?
    A LICIA : Nach Ostern letzten Jahres. Vor zehn Monaten.
    J ANE : Und wie oft haben Sie – sich gewöhnlich getroffen?
    A LICIA fühlt sich in ihrer respondierenden Rolle nicht mehr wohl, weiß aber nicht, wie sie die Initiative wieder an sich bringen soll: Einmal in der Woche etwa. Im Sommer war es schwierig, als überall die Kinder zu Hause waren. Aber als meine in Minnesota waren, bei Fred, meinem geschiedenen Mann –
    J ANE : Ich weiß von ihm.
    A LICIA : – sahen Tom und ich uns häufiger. In der übrigen Zeit im Sommer fast gar nicht. Aber deswegen brauchen Sie mich nicht zu bemitleiden. Ich habe mich von anderen trösten lassen.
    J ANE : Weiß Tom, daß es noch andere Männer gab?
    A LICIA stutzt und schweigt zornig, wobei ihr Zorn teils damit zu tun hat, daß J ANE diesen Punkt so schnell aufgegriffen hat, und teils mit dem Widerstand gegen das angenehme, schlüpfrige, gar nicht erwartete Gefühl, sich einer anderen Frau anzuvertrauen: Er vermutet es.
    J ANE sich aufmerksam bemühend, ihrer Besucherin weiterzuhelfen: Und Sie wünschen, diese eine Ihrer Affären, nämlich die mit Tom, zu beenden?
    A LICIA : Warum sagen Sie das?
    J ANE : Warum würden Sie sonst zu mir kommen und mit mir darüber sprechen? Es ging Ihnen doch darum, wie Sie so plastisch sagten, ihn sich «vom Halse zu schaffen», nicht wahr? Sie verrät Ironie; die Situation ist weitläufiger, als sie geglaubt hätte. Nachts könnte ich ihn ja an den Bettpfosten fesseln, aber am Tage muß er aus dem Haus und –
    A LICIA die das nicht ertragen kann: Eines scheinen Sie nicht zu begreifen. Ich liebe Tom.
    J ANE : Und die anderen –?
    A LICIA : Und er liebt mich. Wir sind einander sehr nahe, so nahe, wie es nur selten vorkommt.
    J ANE : Dann meinen Sie also, es wäre meine Pflicht, Platz zu machen – sie hebt mit erbitternder Zartheit die Hände und deutet auf die Wände und Möbel rings um sich –, das Pfarrhaus zu räumen?
    A LICIA : Ich meine, es ist seine Pflicht, zu scheißen oder runterzugehen vom Topf.
     
    Jane versicherte mir, dies seien exakt ihre Worte gewesen. Ich bat sie immer wieder, den Satz noch einmal zu sagen, bis wir beide vor Lachen nicht mehr konnten. Auch das Gespräch der beiden Frauen war nach diesem Ausruf versiegt. Janes Abscheu und mehr noch ihr Bemühen, ihn sich nicht anmerken zu lasen, machte meine liebe Organistin mit ihrer dicken Taille, ihren festen Händen und ihrer cogitativen Fotze nervös. Nachdem sie sich versündigt und einen Schnitzer gemacht hatte, nachdem ihr das, weshalb sie gekommen, mißlungen war, nämlich der Unklarheit gewaltsam ein Ende zu machen, und sie sogar vergessen hatte, warum sie eigentlich gekommen war, verließ sie, die pastellfarbenen Notenbücher mit den mit Fuchsfell besetzten Handschuhen an die Brust gedrückt, das Haus, und in ihrer tränenblinden Wut über ihren eigenen Irrtum, über Janes huldvolle Hartnäckigkeit und unsere haltbare Ehe rutschte sie fast aus auf der vereisten untersten Stufe des Hauseingangs, auf die es immer aus der Dachrinne tröpfelte. Sie hatte

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