Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sonntagsmonat

Der Sonntagsmonat

Titel: Der Sonntagsmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
Vom Netzwerk:
gesehen, daß wir ein «Paar» waren, aber sie hatte uns für so etwas wie Salz- und Pfefferstreuer gehalten, nicht für die ineinandergepaßten Kiefer eines Herzbrechers.
    Nachdem Alicia gegangen war, schenkte Jane sich reichlich von dem für sie beide gedachten Sherry ein, ging nach oben, ließ die Badewanne vollaufen und planschte hysterisch in dem dampfenden, erschreckten Wasser. Aber sie machte nicht den Versuch, mich an irgendeinem Fixpunkt meiner gewundenen Runden zu erreichen, und ging ihren eigenen nachmittäglichen Verpflichtungen nach: eine Versammlung des lokalen Gartenklubs mit Imbiß und Lichtbildervortrag über Elisabethanische Gärten, eine Fahrt zum Zahnorthopäden mit Martin, meinem älteren Sohn, und um halb fünf Empfang des Klavierlehrers, der sich anhörte, wie mein jüngerer Sohn Stephen verdrossen die simplifizierte Version eines Stücks von Bartok herunterhämmerte. Ich kam bei Einbruch der Dunkelheit nach Hause, nachdem ich während dieses langen Nachmittags einem heiratswilligen und einem scheidungswilligen Paar Rat erteilt, die Damen des Frauenkreises beim Steppdeckennähen ermuntert hatte und dreißig Meilen gefahren war, nur um das Krankenhauszimmer eines von Krebs zerfressenen Mannes aus unserer Gemeinde zu besuchen, der sich in einem letzten Aufwallen seiner Lebenskraft erbittert meinem Eindringen widersetzte. Zum Abschluß all dessen, nach diesem Eisbecher voll nichtiger Taten, trank ich noch bei Ned ein Bier.
    Als wir dann zu Abend gegessen hatten und die Jungen sicher betäubt vorm Fernsehgerät saßen, sagte Jane zu mir: «Ich nehme an, deine Freundin hat dir erzählt.»
    «Was erzählt?» Ein ungeschicktes Hinauszögern. «Was für eine Freundin?»
    «Alicia kam heute morgen vorbei. Wir haben ein nettes Plauderstündchen gehalten, aber sie wollte keinen Sherry. So hab ich den ganzen Tag Sherry getrunken.»
    «Hat sie –?»
    «Die Katze aus dem Sack gelassen? Ja.»
    Als erstes fuhr mir durch den Kopf, daß ich nie wieder mit ihr schlafen, daß ich sie nie wieder im Sonnenlicht auf mir reiten sehen würde. Ein strahlender Abgrund, wie der göttliche Abyssus, den die Apologeten dem griechischen Mythos vom Urstoff entgegensetzten. «Warum?» war alles, was ich hervorbringen konnte.
    «Ich glaube, um mir zu helfen, dich kennenzulernen, und uns die Gelegenheit zur Trennung zu geben. Möchtest du, daß wir uns trennen?»
    «Mein Gott, nein.» So oft ich davon geträumt hatte, frei von ihr zu sein, diese Antwort kam – nein, schoß – mir aus dem Herzen.
    «Und warum nicht?» fragte Jane sehr zu Recht. Ich bemerkte im Kerzenlicht des Eßzimmers, daß sie zitterte, daß plötzlich wie hingezaubert eine Sherryflasche neben ihrem Dessertschälchen stand. «Du kannst sofort bei ihr einziehen. Sie hat alles, was du brauchst. Ein Haus, einen Beruf, der sie ernährt. Du würdest dein Amt loswerden, was nur eine Erleichterung für dich wäre, nicht wahr? Du glaubst doch an nichts mehr.»
    «Doch! Ich glaube an alles!»
    «Du solltest manchmal deine eigenen Predigten hören.» Hier sprach mit ruhiger Autorität die Tochter von Wesley Chillingworth.
    «Hat Alicia – hat Alicia vorgeschlagen, daß ich zu ihr ziehen könnte?» Was für ein berückender Gedanke, in dieser baumlosen neuen Siedlung mit ihrem Ausblick auf den Friedhofshügel zu wohnen, zusammen mit meiner kuscheligen, Kaugummi kauenden Frau, die hauchdünne, luftige, nachlässig zugeknöpfte Morgenkleider und Pantöffelchen mit Pompons tragen und Stunde um Stunde mein sein würde. Ich würde mir einen Job besorgen. Ich würde lernen, Autos zu reparieren, und bei Sonnenuntergang würde ich mit Schmierfett an den Knöcheln und Handflächen zu ihr zurückkehren. Und mit eben diesen Händen würde ich ihre willigen Glieder liebkosen. Zwischen mir und einer solchen Vision stand eine schwarze Wand, äußerst fest, wenn auch äußerst durchsichtig: Onyx, eine wunderbar dünn geschnittene Scheibe Onyx.
    «So weit sind wir nicht gegangen», sagte Jane. «Wir dachten, das müßtest du selbst entscheiden. Sie sagte –» Und hier folgten ihr Zitat und meine Ungläubigkeit und unsere Heiterkeit und der Verrat der Vision. Wir redeten bis zur Erschöpfung an diesem Abend; ich hatte um acht eine Versammlung, kam danach aber eilends zurück, denn nicht nur faszinierte ich sie, während ich die Details und Fehlschüsse auf der anderen Seite des Spiegelglases { * } zum besten gab, sondern sie mich, da auch sie sich, wenngleich nur in Gedanken, aus

Weitere Kostenlose Bücher