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Der Sonntagsmonat

Der Sonntagsmonat

Titel: Der Sonntagsmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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getätigt haben, bleibt ein Gewinn; sie sagen, da ist ein kleines Etwas, verstehst du?»
    Meine Liebe zu diesem Mann grenzte allmählich an Unterwürfigkeit. Ich wollte ihn weise sehen. Ich wollte ihn reif und erwachsen sehen. Es gab in seinen Ausführungen ein Dutzend schwache Stellen, wo man hätte einhaken können (zum Beispiel ist die Bibel Barths Etwas), aber ich war plötzlich von femininer Sanftheit erfüllt und zuckte mit den Schultern: «Ich kann dazu nur eines sagen: wenn ich Tillich und Bultmann lese, ertrinke ich. Lese ich Barth, dann gibt mir das Luft, die ich atmen kann.»
    «Das ist genau das, was die Jugendlichen von Hasch und Heroin sagen. Du und sie, ihr habt mehr miteinander gemein, als ihr wißt. Ihr glaubt, daß es eine andere Welt gibt, eine höhere als diese hier. Und weißt du, wohin sie, jedenfalls diejenigen, die abspringen, sich oft wenden? Sie wenden sich Jesus zu.»
    «Mein Gott», sagte ich, teils um ihn zu ärgern, teils um dem Karl Barth in mir Luft zu machen, «wie deprimierend ich das finde!»

12
    Voici une scène. Où je ne suis pas. Ich muß mir im Geist ein Bild davon machen, wie Ned es zuvor genannt hat. Es trug sich ziemlich lange nach Weihnachten zu, möglicherweise am Valentinstag. Ich hörte zwei Berichte darüber und muß sie zu einer Synthese vereinigen. Schlimmer noch, ich muß schöpferisch tätig werden; ich muß aus meinen lausigen Phantasien die Nissen der Wahrheit herausklauben. Was ist Wahrheit? Meine Phantasien interessieren Sie mehr? Wie schmeichelhaft – da bin ich stolz wie ein Prinz, Ms. Prynne.
    Das Wohnzimmer im Pfarrhaus. Morgensonne, deren Strahlen, von Schatten getönt und von Staubkörnchen belebt, durch die Ost- und Südfenster einfallen. Durch die Scheiben sieht man weiße Krusten vom Schneesturm in der letzten Woche. Autodächer lugen hinter zusammengepflügten, stellenweise von Kinderstiefeln glasig getretenen Schneebergen hervor. Ebenfalls durch die Fenster zu sehen: Häuser mit konischen Dächern, Giebelfenstern, Mauervorsprüngen, muschelförmigen Schindeln, Holzstützen mit ausgesägten Mustern, ovalen Luken mit buntem Glas, eingeklemmt unter spitz zulaufenden Dachtraufen wie einzelne Augen unter einer gewaltigen prächtigen Braue; und Hecken und Büsche und ein patriotisch trikolor gestrichener Briefkasten, ein zwischen gefiederten Bettlern herumhüpfender Vogelfütterer, ein gierig zuschauendes Eichhörnchen, Straßenschilder, Straßenlampen etc. etc. Drinnen blinzeln unsere Augen, dem blendenden Licht ausweichend, einen Eindruck düsterer Schwere inmitten der Treibhauswärme fort. Die Heizölknappheit hat den vorigen Winter nicht überdauert. Bücherregale, vorn mit Glaswänden. Dunkel furnierte Möbel. Gepolsterte und mit Knöpfen beschlagene Stühle. Alles ordentlich: Tischläufer genau in der Tischmitte, ältere Zeitschriften in sich überlappenden Reihen auf einem halb heruntergeklappten Klapptisch. Verschiedene durchscheinende objets, aus sentimentalen Gründen geschenkt und aus ebenso sentimentalen Gründen aufbewahrt, werfen Regenbogen und Lichtstreifen hier und da. Ein Treppenhaus in dunkler Eiche wird durch eine Bogentür links auf der Bühne sichtbar. Klopfen hinter der Bühne. Schritte.
     
    Es treten ein, plaudernd, J ANE M ARSHFIELD , in schlichtem, jedoch attraktivem Hauskleid, und A LICIA C RICK , in Wolle eingepackt, pastellfarbene Notenbücher unter dem Arm.
     
    J ANE : Wenigstens ist die Sonne durchgekommen.
    A LICIA mit leicht theatralischen, übertriebenen, gequälten Bewegungen die Strickmütze und die pelzbesetzten Autohandschuhe ablegend: Tatsächlich?
    J ANE zögernd, sich zwar der Ungewöhnlichkeit dieses Besuches, nicht jedoch der Bedrohung, die er bedeutet, bewußt: Ich weiß nicht genau, wo Tom steckt. Ich könnte versuchen –
    A LICIA : Ich habe Tom gerade gesehen. In der Kirche.
    J ANE : Oh.
    A LICIA : Ich bin gekommen, um mit Ihnen zu sprechen. Ich bin gekommen, Jane, um Sie zu bitten, daß Sie mir Tom vom Hals schaffen.
    J ANE : Wie – wie meinen Sie das?
    A LICIA : In etwa so grob, wie Sie es sich ausmalen können. Ich weiß nicht genau, was Sie und er miteinander gemein haben, Sie sind uns allen ein Rätsel, aber Sie müssen doch geahnt haben, daß er und ich – zusammen waren. Geschlafen haben miteinander.
    J ANE setzt sich wie betäubt, faßt sich aber in Sekundenschnelle und zeigt sich mit einer instinktiven, von der anderen vielleicht nicht ganz erwarteten Hoheit bereit, zu kämpfen: Nein. Ich hatte

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