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Der Sonntagsmonat

Der Sonntagsmonat

Titel: Der Sonntagsmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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allein?»
    «Ich bin es mehr mit ihm, als ich es ohne ihn wäre.»
    «Er liebt Sie.»
    «Er kennt mich nicht. Wie kann man lieben, was man nicht kennt? Seine Liebe ist kränkend. Sie ist geistlos. Reverend Marshfield, ich kann nicht glauben, daß Liebe so geistlos sein muß.»
    «Sie können es in Kauf nehmen, das Gefühl gekränkt zu werden», sage ich ihr, «denn immerhin beschützt er Sie.» Aus der Schule kommende Kinder schreien in der hallenden nassen Straße. «Sie und Ihre Kinder», gebe ich ihr zu bedenken.
    Mrs. Harlow – ihr Vorname ist Frances, wir nennen sie Frankie – schießt so schnell vor auf ihrem Stuhl, daß ich Angst habe, sie wolle mich anzischen. «Wie können Sie es wagen», fragt sie, und ihre Stimme klingt zerbrechlich und klar wie Glasstäbchen, «mir mit einer bürgerlichen Moralpredigt zu kommen. Dergleichen könnte ich auch von meinem Mann haben.»
    «Oh, ich möchte Ihnen nicht etwas geben, was Ihnen auch Ihr Mann geben würde», sage ich.
    «Ich bin ein Mensch», sagt sie. «Mit einer Seele. Warum sollte ich so unehrlich leben? Warum sollte ich bei lebendigem Leibe sterben? Nur weil ich Kinder geboren habe?»
    «Es sei denn, daß das Weizenkorn ersterbe …» beginne ich.
    «Nein, ich glaube, es ist verfault. Tom – ich meine es wirklich so. Ich glaube, so wie mir zumute ist, daß ich nur noch ein Wrack von einem Menschen bin. Und ich kann nicht glauben, daß die christliche Kirche gegründet wurde, damit sie über ruinierte Menschen die Aufsicht führt.»
    «Nein, das kann ich auch nicht glauben», sage ich hastig, denn sie ist aufgestanden. Beim Anblick der ihre Hüften umschmiegenden Strickwolle bekomme ich einen trockenen Mund. Es ist ein Gefühl, als wäre eine gänzlich unanatomische Leere in meiner Brust, die Feuchtigkeit aus meinen normalen Höhlungen saugt, und die Leere ist (auf eine sie irgendwie bestätigende Weise) Teil einer kosmischen Unausgeglichenheit.
    Ihr Wortschwall strömt ohne mich weiter: «Und nun muß ich nach Hause, denn gleich kommen die verflixten Kinder von der Schule, und dann müssen die Katzen gefüttert werden, und dann kommt Gerry von der Arbeit nach Hause. Kinder, Katzen, Gerry, Geschirr abwaschen, Bett. Meinen Sie, ich sollte es einmal mit einem Verhältnis versuchen?»
    «Wäre eine Halbtagsbeschäftigung nicht vielleicht konstruktiver?»
    «Dazu habe ich keine Zeit! Mein Leben ist bereits zu konstruktiv!» Ihre Erregung macht sie verlegen; sie dreht sich um (auch der Hintern ist ganz nett, hübsch in Balance, wiegende Waage) und kuschelt sich in ihren Mantel, einen knielangen Nerz aus ebenfalls gutbürgerlichen Tagen. Sie schiebt ihre gepflegten rosa Hände in die Taschen und spitzt hilflos die Lippen. Auch ich stehe hilflos da. Mein Kragen kneift unter dem Adamsapfel. «Soll ich wiederkommen?» Ihre Stimme ist jetzt leiser.
    Ich wäge meine Worte. Weniger eine Frage als eine Herausforderung.
    «Wenn es hilft. Sie haben verschiedene Probleme aufgeworfen, die mit jemandem durchgesprochen werden sollten.»
    «Paßt es Ihnen ganz gut um diese Tageszeit?»
    Ich werfe einen Blick auf meinen Terminkalender, schlage vor, daß sie und ihr Mann einmal gemeinsam abends kommen.
    «Um Himmels willen, nein», bricht es aus Mrs. Harlow hervor, mit einem Kichern, das noch älter ist als der Nerz. «Er brächte mich um, wenn er davon wüßte.»
    Ich blinzele, als sie gegangen ist. Dieses Gespräch, ähnlich wie das folgende und das vorangegangene (sie kam, mit ehelichen Sorgen, ungefähr in der Zeit zu mir ins Büro, als Alicia ihren Auftritt bei Jane hatte), scheint mir in seinen wechselnden Durchsichtigkeiten und reflektierenden Undurchsichtigkeiten eine so gnostische Erfahrung, daß ich geblendet bin.
     
    Oh, Ms. Prynne, sie war blond und zart und verwöhnt und wachsam, und das Gewebe der Zeit lag wie der zierlichste Schleier auf ihrem Gesicht, während Sie dunkel und von stämmiger Gestalt und militant tüchtig sind und unzivil durch den Flur marschieren, der unter Ihren patrouillierenden Schritten erbebt: Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie mit lieben Erinnerungen quäle. Wenn ich doch wüßte, was Sie wollten. Wenn Sie mir doch einen Fragebogen mit vielfältigen, zur Wahl stehenden Antworten hierließen, wie es im Ramada Inn üblich ist. Wenn Sie mir doch ein Zeichen gäben, wenn Sie diese auf der Frisierkommode gestapelten Blätter durcheinanderbrächten, die Heftklammer drehten, die ich listig in nordöstlicher Richtung zwischen die Seiten 89 und 90 schob,

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