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Der Sonntagsmonat

Der Sonntagsmonat

Titel: Der Sonntagsmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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irgend etwas … Die Stille dieses Raumes m’ effraie. Es ist nicht eine Stille, es sind viele; der Lampenschirm ist still, die Glühbirne brennt still, das Bett wartet stumm auf mein nächstes Vergessen, der Badezimmerspiegel spielt schweigend Kriegen mit einem Zipfel meines Bademantels, der Teppich ist eine einzige hungrige Population individueller Acryl-Stillen, und selbst der Air-Conditioner ist heute still. Ist der Strom ausgefallen? Ist die Wüste erkaltet? Ist das schöne letzte Bittgebet der Bibel («Amen, ja komm, Herr Jesu!» – Offb. Joh. 22, 20) am Ende erhört worden, und sind die zwei Jahrtausende der Zwischenzeiten des Menschen beendet? Nein, meine Uhr sagt, daß es noch eine Stunde bis Mittag ist.
     
    Auf welche Weise hätte ich Jane verlassen können? Wie hätte ich den an Alicia begangenen Betrug, den ständigen Betrug des Liebhabers, gutmachen können? Es gab keine Möglichkeit. Jede Veränderung der äußeren Umstände hätte für mich nur einen anderen Schmerz an Stelle jenes Schmerzes bedeutet, den ich empfand, wenn ich beim Gottesdienst sah, wie Alicia – die in ihrem weißen Chorhemd über der roten Soutane den kleinen Jungen in ihrem Chor bemerkenswert ähnlich sah, außer daß ihr Haar eine Locke länger war – sich kurzsichtig über die Manuale ihrer Gorgel { * } beugte und die Balken über uns allen zu zittern begannen unter den Quinten des Venite – in ganzen Noten – oder den trippelnden Viertelnoten des gregorianischen Sanctus oder der vor dem Singen einmal schnell vorgespielten Melodie eines der von ihr bevorzugten, weniger üblichen Choräle wie «O Meister Du, mit harter Hand» oder «O sehet, ein Sämann! Aus fernem Land» oder «Kommt, ihr Verzweifelten, wo ihr auch schmachtet». Ich mußte dann immer daran denken, wie sie in einer anderen Umgebung sich über mich gebeugt und mich mit Händen, so kühl und unscheu wie die einer Masseuse, zum Höhepunkt gebracht hatte, und die erbebende Kirche schwamm dann in jenem Meer der Liebe, das uns umflutet, das den Briefkasten an der Ecke in Betrieb, den Dow-Jones-Aktienindex in New York in der Höhe und die Stare auf ihren geschwind beweglichen, grazilen Stelzen hält.
    Ich habe gelobt, dem Wort «Liebe» abzuschwören, und schreibe doch kaum von etwas anderem. Stellen wir sie uns als die geistige Zwillingsschwester der Schwerkraft vor – keine rohe Kraft, die von den auf ihren Bahnen kreisenden Planeten «ausgeübt» wird, sondern einfach irgendwie, im Einsteinschen Sinne vorhanden, eine mathematisch existierende Eigenschaft des Raumes selbst. Manche Leute und bestimmte Umgebungen bewirken, daß wir uns schwerer fühlen als sonst – das ist alles.
    In dem öden, überladenen Haus, das Jane und ich bewohnten, bis eines Tages eine neuerliche Berufung uns dort fortholen würde, herrschte Gewichtslosigkeit vor. Ihre anfängliche Erregung über meinen Ehebruch und ihre Starrolle als «betrogene Ehefrau» in dem post-christfestlichen Weihespiel gehörten der Vergangenheit an; jetzt, da die wärmeren Tage mich veranlaßten, die Decken beiseite zu werfen und Jane – nach dem strikt eingehaltenen Visavis – zu einer luftigeren Körperhaltung einzuladen, hatte ich ein Gespür für den Augenblick, wenn die Erinnerung bei ihr alles abschaltete, wenn das Gefühl, in eines anderen Menschen Gußform gezwungen zu werden, ihren Fluß hemmte und unsere milchweißen Körper sauer werden ließ. Mir machte das weniger aus, als du womöglich denkst. Eine antisexuelle Ehefrau, in der Schuldgefühle zu erwecken ich das Vergnügen hatte, und eine Geliebte, die zu verehren ich das Vergnügen hatte, ohne die Unannehmlichkeit, heimliche Verabredungen mit ihr treffen und sie im klammernden Nachspiel abschütteln zu müssen – das war nicht das schlechteste Arrangement in dieser unvollkommenen Welt. Daß beide Frauen mir Pein bereiteten, schien mir ein passender Zug geistiger Ökonomie. Es sei besser, hat Paulus gesagt, zu heiraten statt zu brennen. Besser noch, zu heiraten und zu brennen.
    Auch schien Mrs. Harlow auf dem Wege.
    Auch war es so, daß mein Vater, der, was Zeit-Raum betrifft, ein ödes Zimmer in einem eine Stunde entfernten Altenheim bewohnte, das er mit einer kraftvollen proteischen Folge von Senilitäts-Phantomen möblierte, sich im Laufe der Zeit in einer genetischen Dimension in mir entfaltete und meinen Körper besetzte ; es war – so hat Colette einmal geschrieben, um ein anderes Phänomen zu illustrieren –, wie wenn eine Hand in

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