Der Sonntagsmonat
Nächte, in denen sein Anblick, sichtbarer Beweis unsichtbarer Machenschaften, mich zur Raserei getrieben hatte.
Ned Bork und ich hatten uns nach und nach auf eine nicht ganz geheure Ebenbürtigkeit zubewegt. Seine Interessen dehnten sich auf alle Gebiete aus, die mir unwesentlich schienen: er und die Sekretärin { * } brauten jeden Donnerstag das Kirchenblättchen zusammen, er und die Jugendgruppe veranstalteten samstags Wagen-Wasch-Parties zugunsten eines nordvietnamesischen Hospitals, er wurde von verschiedenen Familien als Redner am Grabe † ihrer dahingeschiedenen Lieben mir vorgezogen. Ned Bork half zwei Familien in der Gemeinde, schwarze Pflegekinder zu adoptieren, Busladungen von Gettoschreiern kamen hin und wieder an, um unter seiner apostolischen Obhut in unserem See zu planschen, und ein-, zweimal in der Woche war er im Gericht, um einem schmalen Blumenkind, das wegen Handels mit Hasch eingesperrt worden war, oder einem kulturell rückschrittlichen, Bierorientierten Burschen, der einem Polizisten in die Pistolentasche gepißt hatte, «beizustehen». Er organisierte Volleyball-Spiele für die Sonderlinge der Gemeinde und die Jungverheirateten (um sie von der freimaurerähnlichen Gesellschaft der Oddfellows und dem Sex-Club der Swingers fernzuhalten) und dominierte bei jedem Spiel mit seiner haarigen Prachtvisage und seiner Trainingsbluse, die (ich schwöre es) die Aufschrift Jesus Christus Superstar trug. Er veranstaltete, soweit ich weiß, auch Seancen. Einige graue Haare waren in seinem Bart aufgetaucht, seit er begonnen hatte, den Lehrling bei meinem Zauberer zu spielen, und im stillen registrierte ich sogar mit Befriedigung, daß in seinen Predigten weniger «Ihr wißt ja» und Jungsche Urmythen vorkamen, während die Vertrautheit mit dem Wort Gottes und mit den Wörtern zunahm und seine tertianerhafte gedehnte Sprechweise in einen durchdringenden nasalen Enthusiasmus überging, der Pfeilen gleich die Formeln unseres Glaubens mit ihren Kurare-Spitzen aus seinem Munde hervorschießen ließ. Im Schweigen der Gemeinde, in diesem urschleimartigen Vakuum, entdeckte ich in den ausdruckslosen Gesichtern meiner Bank- und Bäckersleute ein, zwei Funken unabgewanderter Aufmerksamkeit, eine winzige Bereitschaft zuzuhören. Ned war für sie offenbar etwas Neues. Amerikaner sind darauf abgerichtet, Neues um jeden Preis zu respektieren. Neds Absonderlichkeit, meinte ich ferner, wurde in dem Entwicklungsbad seines neuen Selbstvertrauens immer weniger schattenhaft und erwies sich als leicht affektierter, rokokohafter Stil in seinen Gesten und seiner Art, sich zu kleiden. Es war tatsächlich alles im Werden: aus potens wurde ens. Mein eigenes elendes hetero-sexuelles Beispiel mag ihm hier eine Hilfe gewesen sein. Alicias neuer Wagen, blutorangefarben im schwefligen Licht der Straßenlampen, war manchmal vor seiner Tür zu sehen, und ich stellte mir die beiden redend vor, schuhlos, durch Schleier jenes desexifizierenden Räuchermittels hindurch, das «Gras» genannt wird. Worüber mochten sie reden? Über mich, stellte ich mir vor, und fiel in Schlaf wie ein Schuh.
«Ned, hast du einen Augenblick Zeit?»
«Aber natürlich, mein Spiritus rector.»
«Ich meine, ich will dich nicht davon abhalten, ins Gefängnis zu gehen und einen deiner wegen Heilung ohne Lizenz einsitzenden Jesus-Süchtigen rauszupauken.» Es war besser, sagte ich mir, daß wir in diesem Ton miteinander sprachen; die Wahrheit mit Liebe, schreibt Paulus vor, in einer Mischung von 3 zu 1 für normale Motoren.
Seine eng stehenden Zähne entblößten sich im Dickicht seines Bartes. «Und ich möchte dich nicht davon abhalten», sagte er lächelnd, «irgendeiner Hausfrau zu erklären, warum sie ihren Mann nicht umbringen soll. Oder warum sie es doch tun sollte.»
Ich räusperte mich in presbyterianischer Manier.
«Es geht um Alicia. Wie denkst du über sie?»
Die Zähne verschwanden. «Wir sind befreundet», sagte Ned.
Ich sagte: «Das kann ich von meinem Schlafzimmerfenster aus sehen. Aber intra cathedra – wie denkst du über sie als festen Bestandteil des Gottesdienstes. Hättest du etwas dagegen, daß wir sie gehen lassen?»
Der angeberische Tertianer kam wieder durch, und der Geistliche schreckte augenblicklich aus seinem Rock. «Warum willst du so eine liebe kleine blonde Null rausschmeißen?» Seine Augen, ein kompliziert gezähntes Grün, begannen zu flackern, während er in seinem Hirn hastig Berechnungen über meine Sexualpolitik
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