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Der Sonntagsmonat

Der Sonntagsmonat

Titel: Der Sonntagsmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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einem Pastor rumzuschlagen, der so taub ist, daß er bei einer Pause von zwei Takten gleich loslegt. Und du würdest», sagte ich auf gut Glück in einem anderen Ton, «nicht mehr an – an uns erinnert.»
    «Das hat mir nichts ausgemacht», sagte sie. «Das Erinnertwerden hat mir nichts ausgemacht.» Sie strich sich das Haar von der Schläfe zurück und sah mich an. «Ich bin also entlassen.»
    «Ned und ich sind beide der Meinung, daß es für die Gemeinde das beste wäre.»
    «Ned auch?» Sie hinderte mich daran, die zurechtgelegten Erklärungen über ihre Gratifikation, über die kommenden Übergangswochen abzugeben. «Und die Diakone?» fragte sie. «Müssen die nicht auch ihre Zustimmung geben?»
    Kopfnicken. Mein Kopfnicken, obwohl es frei, frei von mir, zu schweben und sich an der Decke fortzusetzen schien, wo es meine Blicke auf sich zog. «Eine reine Formalität», sagte ich. «Bei der nächsten Sitzung.»
    Alicia stand auf. Kinn hoch. Das Hemd hing ihr senkrecht von dem kühnen Vorsprung ihrer Brüste herab. Ich mußte auch aufstehen, obwohl ich noch nicht alles gesagt hatte: Ich hatte mich noch in Spekulationen über unser beider Zukunft und in Erinnerungen ergehen wollen. Mein Körper kam mir schwer vor, wie eine alte Sonne. «Danke, Tom», sagte meine Gastgeberin, und ich merkte, daß sie in Gedanken schon wieder zu ihren Malarbeiten im oberen Stockwerk zurückkehrte. «Vielen Dank, daß du’s mir selbst gesagt hast. Statt es mir per Brief oder am Telefon mitzuteilen.»
    Ich glaubte, daß sie das ehrlich meinte. Ich glaubte, daß es tatsächlich edelmütig von mir gewesen war, zu kommen und eine Szene zu riskieren, die gottlob ausgeblieben war. Ich war so voller Illusionen, wie ein Sonnenstrahl voller Staub ist. Ich überlegte, ob es nicht ein Versäumnis von mir wäre, wenn ich nicht jedenfalls versuchte, ihr einen Gutenachtkuß zu geben. Nichts an ihrer Haltung lud dazu ein, und so sagte ich statt dessen, leicht über sie gebeugt (bei unseren früheren Abschieden war sie immer über mir gewesen): «Du siehst doch, daß sich dahinter, hinter der äußeren Verkleidung, ein Segen verbirgt, nicht wahr?»
    «Das werde ich sicher irgendwann», sagte sie, «wenn ich auch im Moment –» ihr Lächeln war ermutigend – «nur die Verkleidung sehe.»
    Über ihre Schulter hinweg sah ich einen verblichenen geknüpften Bettvorleger. Ich hätte mich am liebsten wie eine Katze auf ihrem warmen Fußboden zusammengerollt. Machte ich einen Versuch? In meiner Erinnerung scheint sie die Hand zu heben, wie um mich aufrecht zu halten. «Geh jetzt, Tom. Sag nichts mehr. Ich komme schon zurecht.»
    Oder etwas dergleichen. Als ich hinaustrat ins Freie, wo es im Gegensatz zu drinnen eiskalt war wie im Wasser eines Sees, schnappte ihre Tür hinter mir zu (abgeschlossen?), und ich empfand eine unbestimmte Irritation wie ein Jahrmarktsbesucher, dem die Brieftasche aus der Hüfttasche gestohlen worden ist, der aber vorerst nur unbewußt ihren vertrauten Druck vermißt.

19
    Wir meinten, ein Motel werde vielleicht helfen. Den ganzen August über war Frankie mit ihrer Familie in irgendeinem feuchtkalten Ferienort im Norden gewesen, hatte Seilball gespielt, war zwischen düsteren Tannen Kanu gefahren, hatte Moskitos mit dem Nektar ihrer Adern genährt und Harlows drachenartiges Geschick, Briketts in Brand zu setzen, bewundert. Im September gab es allerlei Unruhe durch den Beginn des neuen Schuljahrs, im Oktober durch meine Aufregung mit Alicia, und im übrigen waren aus der alten Glückseligkeitsdiät von Kirchenknutschereien und erlisteter Lust bei dieser neuen, einschüchternd köstlichen Liebe Hungerrationen geworden. Wir brauchten Zeit, wenn nicht die Ewigkeit selbst. Wir schusterten uns ein Stelldichein um Allerheiligen zusammen. Da auch außerhalb der Stadt mein Gesicht erkannt werden konnte (von der trauernden Witwe eines von mir bestatteten Toten, von einem erwachsen gewordenen Sonntagsschüler, von einem abtrünnigen Klosterbruder Liederlich, der mich vielleicht von einem ökumenischen Essen her wiedererkannte), erledigte Frankie das leidige Geschäft mit der Anmeldung und dem Schlüssel; sie kam in ihrem guten Tuchmantel so ruhig und gelassen aus dem rot-blinkenden Empfang («Empfange!» dachte ich die ganze Zeit), als käme sie vom Frühgottesdienst und hätte gerade ihre Opfergabe auf den Kollektenteller gelegt. Sie setzte sich ans Steuer ihres Wagens (mein schäbiger Dart trieb in den glitzernden Blechwogen des

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