Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sonntagsmonat

Der Sonntagsmonat

Titel: Der Sonntagsmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
Vom Netzwerk:
Widerrede aus. Ihre Worte kamen in einem neuen Ton heraus, geschärft und beschleunigt, als schickte sie eilends Botschaften über ein schon reißendes Kabel. «Weil alle Leute sich fragen werden, warum, und du dir das nicht leisten kannst. Weil es gemein, verantwortungslos und selbstsüchtig wäre. Und weil es einige äußerst verheerende Folgen haben würde.»
    «Zum Beispiel?»
    «Dies zum Beispiel», sagte Jane und warf den Teller, den sie in der Hand gehalten hatte, zu Boden; er zersprang; an den größeren Scherben auf dem Linoleum sah ich, daß es ein Teller von Mutters rosa Royal Bristol-Geschirr gewesen war, dessen Randmuster aus verschlungenen Arabesken ich als Kind bei den langweiligen Erwachsenen-Dinners meiner Eltern so lange mit den Augen abgetastet hatte, bis es mir als das Muster der Ewigkeit selbst erschienen war.
     
    Das Gespräch mit Alicia war alles andere als peinlich. Ihr Haus und das Nachtmittagslicht weckten in mir so angenehme Erinnerungen, daß ich beim Klingeln die Töne der Türglocke mitsang und mich nach dem Eintreten, von schläfrigem Behagen überwältigt, im Sessel ausstreckte. Ihre Kinder waren noch nicht aus der Schule gekommen. Sie war bei der Begrüßung überrascht gewesen, hatte mich aber bereitwillig hereingelassen; rückblickend meine ich, daß sie vielleicht gedacht hat, ich hätte bereut, ich könnte nicht ohne sie leben, ich wolle Jane verlassen. Alicia war gerade dabeigewesen, die Holztäfelung in dem Zimmer des kleinen Mädchens zu streichen. Sei trug eine Drillichhose, die an beiden Gesäßbacken zu dünnstem Blau abgewetzt war, und ein gestreiftes Männerhemd (von welchem Mann?) über der Hose, und ein geflecktes großes Kopftuch über dem Haar; sie schob eine einzelne, verirrte Strähne mit dem Rücken ihrer Hand zurück, deren Bewegung eine Taube von Terpentingeruch freigab. Sie legte immer nur langsam die reizvolle besorgte, selbstvergessene Art tätiger Frauen ab, deren Anmut ihnen ganz unbewußt ist – O Herr! Jede bezaubernde Sekunde ihrer Verkleidung drängte mich mehr von meinem Vorhaben ab. Ein dicker diagonaler Staubstrahl stand als Zeuge im Raum, ängstlich auf Brownsche Bewegung bedacht. Alicia bot unsicher Kaffee oder Sherry an. In den unvergessenen Tagen, als ich zum Liebesspiel kam, wurde portugiesischer Rose im Bett serviert. Sie hatte gewollt, daß ich in meiner hoffnungslosen Magerkeit Fett ansetzte. Ich reckte mich pfauenhaft in meinem Sessel, lehnte alle Getränke ab und sagte: «Wie fändest du’s, wenn du mal aus deinem Trott rauskämest?»
    «Vielleicht gar nicht schlecht», sagte Alicia, die jetzt neben mir auf einem Fußschemel hockte, wobei ihre Kniescheiben fast durch den fadenscheinigen Stoff ihrer Hose stießen.
    «Ist dir aufgefallen», sagte ich, «daß wir, du und ich, in letzter Zeit eine Menge Streit miteinander haben?» Über ihren Kopf hinweg (das große dunkle Kopftuch ließ nur einen von Sonne getroffenen Rand ihres Haares frei) konnte ich – in einem flacheren Winkel als von ihrem Schlafzimmer aus – durch den Hinterhof mit der Wäschestange und dem blauen herzförmigen Vogelbad zu ihrer Garage und einem im Seitenweg im Leerlauf tuckernden Tankwagen hinübersehen.
    «Es ist mir aufgefallen», sagte sie, «und ich bin zu dem Schluß gekommen, daß du vielleicht recht hast; ich war zu ehrgeizig. Ich werde wieder zu den Tabernacle Favorites zurückkehren. Das ist auch weniger anstrengend für mich.»
    Wie wunderbar sie die Doppelrolle spielte: meine Organistin und, eingeschlossen in ihr und atemlos ans Licht drängend, die Geliebte, die nur darauf wartete, daß ich den blinkenden Schlüssel zum Vorschein brachte. Aber: «Nein. Nein», sagte ich in einem affektiert schleppenden Tonfall wie mein Kurat und streckte meine Beine wieder in diesem absurden schläfrigen Behagen aus. «Ich glaube, dein Ehrgeiz ist gut, und dein Anschlag ist gut, und die Musik, die du machst, ist herrlich, und ehe du dich an der Entfaltung deiner Fähigkeiten hindern läßt, sähe ich dich lieber als Organistin an einer anderen Kirche.»
    Sie rückte auf dem Schemel hin und her, brachte formell die Knie noch etwas dichter aneinander, ließ aber sonst keinerlei Anzeichen von Gekränktheit erkennen. «Das sähst du also lieber», wiederholte sie, und ihr Mund dehnte sich in seine etwas schiefe, gummikauende Stellung.
    «Ist das nicht ein guter Vorschlag? Du brauchtest nicht mehr mit anzusehen, wie ich die Gemeinde verspotte. Du brauchtest dich nicht mehr mit

Weitere Kostenlose Bücher