Der Sonntagsmonat
herum –, weshalb er eigentlich hier ist und welcher Konfession er angehört.
Die Transparenz des Pokerspiels unterscheidet sich natürlich von den durchsichtigen Schlägen und Strecken beim Golf: wir schlittern unmittelbar auf der glasartigen Oberfläche göttlicher Fügungen. Tatsächlich war das Renkontre anfangs zu turbulent und zu schwindelerregend, zu sehr belastet nicht nur durch die unterschiedliche psychische Verfassung meiner Mitspieler, sondern auch durch die unwiderleglichen Launen des Gebers aller Gaben selbst, so daß mir in meiner Benommenheit, an der auch das Bier seinen Anteil hatte, ganz wirr im Kopf wurde. Wirrheit äußert sich in zwei Formen: man wird in bustrophedoner Folge setzender Verlierer und passender Gewinner. Aber zum Glück widersteht es den Freunden, die wissen, daß du leicht die Fassung verlierst, gegen dich zu passen, wo ein nüchternerer Spieler sie überzeugen und veranlassen würde, sich vorsorglich zurückzuziehen. So kommt mancher der Verluste wieder herein, vorausgesetzt, man hat gelegentlich (wie es in einem vom mathematischen Zufall bestimmten Universum der Fall sein muß) die Karten. Wenn die anderen dich für einen Narren halten, glauben sie nicht: sie halten den Einsatz, und du kassierst. Der Glauben, so abstrakt und unwesentlich im wirklichen Leben, wird beim Pokern zum täglichen Brot. Außerdem gehört wie in den internationalen Beziehungen ein seltsames Prinzip der Unbestimmtheit dazu: stets muß man sich eine Aura der Unberechenbarkeit erhalten. So wird das stupide Verhalten obligatorisch, wenn man sich eine Präsenz verschaffen will. Als ich nach meinen ersten wirren Abenden zu mir kam und feststellte, daß ich eine Poker-Präsenz hatte, war das ebenso herzerfrischend wie damals bei Alicia die Entdeckung, daß ich eine sexuelle Präsenz hatte. Ich habe mich darauf eingestellt, daß ich bald gewinne, bald verliere, versuche den Überblick über meine Karten zu behalten, versuche meinen thomistischen Optimismus zu zügeln – gib mir zwei Vieren, und in der frohlockenden Gewißheit, daß sich das zweite Paar als donum superadditum einstellen wird, erhöhe ich. So sitzt unser Held jeden Abend von neun bis zwölf auf seinen hart gewordenen Gesäßbacken an einem achteckigen Tisch, in seligen Stupor entrückt durch Wüstenratten-Bier und so etwas wie eine Origami-Eschatologie (klitorale Eschatologie möchte ich, weiß der Himmel warum, sagen, irgend etwas darüber, wie erregend die Ecken eines Kartenpacks sind, wenn sie angeblättert werden), und beobachtet, wie der Atem des Herrn über die Karten, die Gesichter und das Spielerglück seiner neu gefundenen Freunde weht.
Möchten Sie eine Poker-Geschichte hören, Ms. Prynne? Das muß Ihnen guttun, so wie eine Stippvisite in der Mädchentoilette (keine Urinbecken!) jedem amerikanischen Jungen guttut. Wir saßen bei einem Spiel zusammen, das Eighty-five heißt. Jeder erhält fünf Karten, die erste verdeckt; dann kann man nacheinander, jeweils nach einer Runde Bieten, drei Karten kaufen und legt dabei jedesmal ab. Es ist ein High-Low Poker: die bestmögliche niedrige Reihenfolge ist As, 2,3,4 und, von einer anderen Farbe 6. Von der gleichen Farbe wäre es ein Flush, und As, 2, 3, 3, 4, 5 würde ein Straight sein; beides Spitzenkombinationen; kapiert? Obwohl ein As als 1 verwandelt werden kann, kann es zugleich auch höher als ein König bewertet werden, und zwei Asse sind das höchste Paar. Fred war Geber; ich saß rechts neben ihm. Beim dritten Kauf hatten die anderen entweder gepaßt oder waren allem Anschein nach entschlossen, weiter zu erhöhen. Ich hatte As, 2,4 und 6 aufliegen: eine super-niedrige Reihenfolge. Das Ärgerliche war, daß ich verdeckt noch eine zweite 6 hatte. Die einzige ‹Hand›, die noch blieb, Freds, war der reine Müll, mit einem Buben als höchstem Wert. Meine Intuition sagte mir, daß auch er ein Paar hatte. Dennoch, um sicherzugehen, und weil ich dachte, ich würde zumindest etwas Besseres zustande bringen als ein Paar, zwei niedrige Sechsen, warf ich die verdeckte Karte ab und zog – uff! –ein As, womit ich nun zwei Asse hatte. Die Vorsehung hatte wirklich alles getan, um mich zu entmutigen, denn die beiden anderen Asse lagen auf dem Tisch. Fred verkündete: «G-g-g-geber nimmt sich eine K-k-karte», warf seinen Buben ab und bekam eine 8. Nicht schlecht für einen Low, jetzt, aber meine Karten sahen so unschlagbar aus, daß ich das sichere Gefühl hatte, ich könnte Fred ausmanövrieren.
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