Der Spiegel der Königin
fiel, klopfte es energisch an der Tür zu Elins Gemach, in das sie sich geflüchtet hatte. Ohne eine An t wort abzuwarten, öffnete Kristina die Tür und trat ein. Instinktiv verbarg Elin den noch verschlossenen Brief, den ihr Henri hatte zukommen lassen, hinter dem Rü c ken.
»Nun?«, sagte Kristina barsch. »Gibst du deinen Fei n den Recht, indem du dich hier verkriechst ? «
»Und Sie?«, konterte Elin. »Lassen Sie meinen Fei n den freie Hand, indem Sie die Beleidigungen überh ö ren?« Sie ärgerte sich darüber, wie kläglich ihre Stimme klang, und hoffte, der Königin würden ihre geröteten Augen nicht auffallen. Mit wenigen Schritten war Krist i na bei Elins Bett und ließ sich darauffallen.
»Deshalb bin ich hier«, sagte sie. »Weil ich mich nicht länger taub stellen kann. Und weil ich dir gegenüber nicht länger stumm bleiben will.« Sie machte eine Pause, in der sie sich ein weiteres Kissen heranzog und unter ihren Kopf schob. »Du hast mir besser gefallen, als du Henri noch gehasst hast«, meinte sie schließlich in freundlichem Plauderton. »Erinnerst du dich noch an den Brief, den ich Monsieur Descartes vor einem Jahr g e schrieben habe? Wir diskutierten darüber, was den größ e ren Schaden verursacht: falsch angewendete Liebe oder Hass. Nun, ich sagte ihm, meiner Meinung nach sei es die Liebe. Diese Leidenschaft führt uns zu weit größeren Exzessen. Denn der Hass richtet sich nur auf das gehasste Objekt, während die gestörte Liebe nichts verschont – nur ihr Objekt. Allen anderen um sie herum schadet sie ohne Bedenken.«
Elin hatte schon bei den ersten Worten der Königin Herzklopfen bekommen. Die Kanten von Henris Brief drückten in ihre Handfläche.
»Dann sprechen wir hier von zwei unterschiedlichen Dingen, Kristina«, sagte sie. »Sie von falsch angewend e ter Liebe. Ich von der Liebe zwischen Henri und mir.«
Die Königin lachte auf – es war ein zynisches Lachen. Elin konnte wieder einmal durch die Lücke in der Mauer sehen und erkannte in Kristina eine verbitterte junge Frau, gefangen in ihren Ängsten und Leidenschaften, die sie auch durch alle Vernunft nicht besiegen konnte.
»Wie du meinst, Elin. Dann will ich jetzt ehrlich zu dir sein, auch wenn es grausam klingen mag: Wo, denkst du, soll das, was du für Liebe hältst, hinführen? Meinst du etwa, Graf de Vaincourt heiratet eine Scheuermagd? Und noch dazu einen Bastard?«
»Einen gelehrten Bastard«, erwiderte Elin würdevoll. »Sie sollten wissen, dass mich solche Worte schon lange nicht mehr treffen. Und niemand sagt, dass ich je daran gedacht habe zu heiraten.«
Das war nicht die ganze Wahrheit. In Wirklichkeit war ihr elend vor Angst. Wie immer hatte Kristina das Me s ser direkt in die Wunde gestoßen.
»Denke daran, dass du nicht die Privilegien hast, die einer Königin gebühren.« Kristina musterte Elin mit e i nem Ausdruck von Mitleid, der Elin wütend machte. »Weißt du, dass Henris Vater gedroht hat, ihn zu ente r ben ? «
Zu ihrem Ärger konnte Elin ihre Überraschung nicht verbergen. »Aha«, meinte Kristina trocken. »Da haben meine Zuträger also bessere Arbeit geleistet als die Li e be. Kannst du dir vorstellen, was der Grund für diese Drohung ist?«
»Zwischen ihnen … gibt es immer Streit. Sie sind sehr verschieden.«
»Nun, ich wünschte aufrichtig für dich, das wäre der einzige Grund. Nein, Henri ist derzeit nicht gerade en t zückt von seiner adligen Verlobten in Frankreich, die dem Haus de Vaincourt einen Aufstieg garantieren wü r de.«
Die Nachricht traf Elin wie ein Schlag ins Gesicht. Dennoch riss sie sich zusammen.
»Falls es in dieser Hinsicht etwas zu bereden gibt, wird Henri es mir selbst sagen.«
»Oh, hör doch auf, die Eisprinzessin zu spielen!« W ü tend setzte Kristina sich auf und schlug mit der flachen Hand auf das Bett. »Glaubst du wirklich an ein Wunder? Es ist eine Sache, vor einer ungeliebten Hochzeit nach Schweden zu fliehen. Eine ganz andere Sache aber ist die Verpflichtung der eigenen Familie gegenüber. Es geht um sein Erbe! Du glaubst doch nicht, dass Henri wegen dir darauf verzichtet!« Ihre Stimme wurde leiser und noch schneidender. »Aber natürlich hat eine Heirat wenig mit Liebe zu tun. Er könnte dich als seine Mätresse nach Frankreich mitnehmen.«
Elin stand da wie betäubt. Der Brief in ihrer Hand war längst zerknittert. Aber Kristina hatte noch einen weit e ren Trumpf in der Hand.
»Er hat dir doch wenigstens gesagt, dass er in zwei Wochen nach
Weitere Kostenlose Bücher