Der Spiegel der Königin
Wangenbogens nach. Sie liebte diesen Au s druck von Verletzlichkeit in seinem Gesicht. »Als ich … auf dem Schlachtfeld war, habe ich nicht besonders viel Mut bewiesen. Ich dachte immer, wir wären edel von G e burt, so hatte mein Vater es mich gelehrt. Aber als ich … verwundet war … ließ mein Vater mich liegen. Ve r sorgt hat mich ein Soldat. Ich glaube, dort habe ich be g riffen, dass die Welt nicht aus hohen und niederen Me n schen besteht. Sie besteht aus Kriegern und Bürgern. Und die Krieger zogen nach der Schlacht plündernd und zerst ö rend durch Bayern – Schweden und Franzosen, Adlige und Söldner, es machte keinen Unterschied.« Er räuspe r te sich und sah zu den Pferden hinüber. »Mein Vater nennt mich Memme, weil ich ein Krüppel bin und mich nicht zu einer militärischen Karriere berufen fühle.«
Elin dachte an den Schmerz ihrer Verletzung durch den Bolzen der Armbrust und schauderte. Sie nahm He n ris Hand und drückte sie an ihre Lippen. »Ich halte dich für einen klugen Mann«, sagte sie. In solchen Augenbl i cken, in denen sie Henri besonders liebte, wurde ihr b e wusst, dass die Tage bereits kühler wurden und schon bald die letzten Schiffe Kurs auf die Ostsee nehmen wü r den.
»Was wirst du am meisten vermissen, wenn du wieder in Frankreich bist?«, fragte sie. Henri lachte.
»Nichts. Weil ich nicht nach Frankreich zurückgehe.«
»Du kannst nicht ewig in Schweden bleiben.«
»Mich ruft nichts zurück«, erwiderte Henri. »Was soll ich in einem Haus, in dem ich Feigling genannt werde?«
Seine Stimme bekam einen bitteren Klang. »Ich kann es nicht verstehen – so sehr habe ich versucht, ihm zu gefallen. Ich führte mich auf wie er, ich prügelte mich und zog mit den anderen Kavalieren herum, aber es g e lang mir nie, so zu sein wie er. Ich weiß nicht, warum er mich so sehr hasst.«
»Weil du Henri bist«, sagte Elin. »Er hasst dich für all das, was ich … an dir liebe.«
Der Herbst kam in diesem Jahr früh und war golden. Voller Ungeduld wartete Kristina auf die Ankunft von Herrn Descartes. Immer noch war sie damit beschäftigt, den Frieden durchzusetzen, der zwar auf dem Papier b e stand, aber weitere Verhandlungen erforderte. Marodi e rende Söldnerhorden zogen durch die deutschen Städte, der Krieg hatte die Staatsfinanzen geschwächt und die Königin musste nun in ihrem eigenen Land Ordnung schaffen. Dafür beorderte sie deutsche Handwerker nach Schweden, verbesserte die Verwaltung und Infrastruktur ihres Landes und verbot endgültig jegliche Hexenverfo l gung. Inzwischen plante sie auch die Errichtung einer wissenschaftlichen Akademie auf Tre Kronor. Zu Elins Kummer diskutierte sie darüber am liebsten mit Mons i eur Tervué . Seltsamerweise bestand zwischen ihr und der Königin seit dem Gespräch über Henri immer noch eine unterschwellige Spannung, die sich Elin nicht erklären konnte. Bisher hatte Kristina nichts über Kester Levens Papiere in Erfahrung bringen können und vertröstete sie stets aufs Neue.
Es war Anfang September, als Henri zum ersten Mal wieder das Schloss betreten durfte und zu den Jagden eingeladen w urde. Elin und Henri achteten darauf, sich ihre Ve r trautheit nicht anmerken zu lassen, und verfielen in ihre alte Gewohnheit, sich spöttische Sätze zuzuwe r fen. Es war erstaunlich einfach – und Elin erkannte mit Verwu n derung, wie haarfein die Linie zwischen Liebe und Hass war. So mühelos beherrschte Henri es, in die Rolle von Monsieur de Vaincourt zu wechseln, dass es Elin manchmal nicht geheuer war. Nur Freinsheim l ä chelte wissend, wenn sie in der Bibliothek Schach spie l ten, und gab vor, nicht zu bemerken, wie sich verstohlen ihre Hände berührten, wenn eine der Spielfiguren zu B o den fiel. Tervu é beobachtete Elin in diesen Wochen ebenso genau wie Lovisa. Elin wusste, dass sie mit dem Feuer spielte, und immer wieder sagte ihr eine gemeine Sti m me, die der von Kristina erschreckend ähnlich war, dass ein Graf, mochte er auch ein Armer unter den Re i chen sein, niemals eine Reiche unter den Armen lieben konnte.
Der zerbrochene Spiegel
Das Schiff mit Passagieren aus Holland kam in Stoc k holm an, als schon die ersten Herbststürme die Blätter von den Bäumen fegten. Elchschinken hingen in den k ö niglichen Räucherkammern; Fässer mit eingelegten Pi l zen, Fisch und Zwiebeln lagerten bereits als Wi n tervorrat in den Kellern.
»Monsieur Descartes ist da!«, rief Kristina Elin zu, die eben die Weisungen
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