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Der Spiegel im Spiegel

Der Spiegel im Spiegel

Titel: Der Spiegel im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
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steht ihm wirr und starr um den Kopf wie Stroh. Seine Brille, die ihm immerzu von der schweißnassen Nase rutscht, schiebt er mit dumpfer Geduld immerzu wieder an ihren Platz. In der linken Hand schwenkt er einen alten zerbeulten Zylinder. Der Hochzeits-Cutaway, den er trägt, mag ihm in vergangenen Zeiten einmal gepaßt haben, nun aber ist er ihm viel zu groß, die Schöße hängen ihm bis auf die Fersen. Der Stoff ist schäbig geworden und zerfällt an gewissen Stellen. Das Hemd ist ihm aus der Hose gerutscht, denn auch die ist zu weit, und er muß sie alle drei Schritte hochziehen. Ein Fuß steckt in einem Lackschuh, dessen Sohle sich löst, der andere Fuß ist mit einem schmutzigen Taschentuch umwickelt, um ihn wenigstens ein klein wenig gegen die Glut des Sandes zu schützen.
    Einige zwanzig Meter vor diesem Mann marschiert ein anderer, ein Beamter vielleicht: Äußerst korrekte Kleidung, dunkler Anzug, dunkler Hut, eine Aktentasche in einer Hand, in der anderen einen straff gerollten Regenschirm. Sein Gesicht ist ein wenig blaß und völlig merkmalslos, gleichsam ausgewischt.
    Der Abstand zwischen den beiden Wanderern vergrößert sich langsam, aber stetig. Der Bräutigam sputet sich, er ringt keuchend nach Atem, fällt hin, steht wieder auf, taumelt weiter, fällt abermals hin.
    «Hören Sie bitte!» ruft er, und seine Stimme klingt hoch und überanstrengt wie die eines alten Weibes, «warten Sie mal! Ich möchte Sie etwas fragen.»
    Der Mann ohne Gesicht hat den Ruf wohl gehört, aber er geht noch ein gutes Stück weiter, ehe er schließlich stehen bleibt und sich seufzend umwendet, als handle es sich um das Greinen eines ungezogenen Kindes, das ihn zum hundertsten Mal unter irgendeinem Vorwand aufzuhalten versucht. Lässig auf seinen Schirm gestützt sieht er zu, wie der Bräutigam mühsam die Düne zu ihm empor krabbelt.
    «Bitte, beeilen Sie sich!» sagt er kühl. «Was wünschen Sie denn nun schon wieder?»
    «Sagen Sie», keucht der Bräutigam und überlegt sichtlich, was er eigentlich fragen wollte, «sagen Sie, bitte, ist es noch sehr weit?»
    Beim Sprechen ziehen seine geschwollenen Lippen Fäden.
    «Nur noch ein paar Schritte», erwidert der andere ebenso korrekt wie vorher, «nur noch bis zu jener Tür dort.»
    Dabei zeigt er mit dem Schirm auf die Tür im Süden. Er will sich wieder zum Gehen wenden, doch der Bräutigam hält ihn fest.
    «Verzeihen Sie», bringt er mit einiger Mühe heraus, «wohin - mir ist es nämlich im Augenblick entfallen - wohin gehen wir überhaupt?»
    «Zu Ihrer Braut, mein Herr», erklärt der andere, und man kann hören, daß er diese Antwort schon oft geben mußte. Er betont jede Silbe und spricht laut wie zu einem Schwerhörigen oder Blöden. «Ich bringe Sie ins Zimmer Ihrer Braut.»
    Der Bräutigam starrt ihn eine Weile mit offenem Mund an, dann schlägt er sich mit der Hand vor die Stirn und lacht hastig und um Entschuldigung bittend. Er versucht ein Lächeln, während er sagt:- «Wenn wir bei ihr angelangt sind, dann wird alles gut sein, nicht wahr? Sie wird doch nichts gegen mich einwenden, nur weil ich nicht mehr so gut gekleidet bin? Es ist ja alles um ihretwillen, das wird sie doch einsehen? Was ich gelitten habe, wird sie doch von meiner Liebe zu ihr überzeugen? Sie wird mir glauben, dessen bin ich sicher. Sie wird mich mit offenen Armen empfangen.»
    «Wenn wir bei ihr angelangt sind», stellt der andere sachlich fest.
    «Gewiß, gewiß», murmelt der Bräutigam, «es wird bald sein, sehr bald. Deshalb habe ich ja den direkten Weg gewählt, nur von jener Tür dort hinten zu dieser da vorn. Der direkte Weg ist der kürzeste, nicht wahr? Das weiß jedes Kind.»
    «Nein», sagt der andere ausdruckslos, «nicht im Mittagszimmer. Ich habe es Ihnen von Anfang an gesagt, aber Sie wollten es nicht glauben. Jeder Umweg wäre kürzer gewesen. Sie haben mir nicht einmal zugehört. Und jetzt ist es zu spät. Wir sind schon zu weit gegangen.»
    Der Bräutigam leckt sich mit einer zundertrockenen Zunge die aufgeplatzten Lippen. «Dann kann ich mit ihr tun, was ich will», flüstert er, «sie muß alles widerspruchslos hinnehmen. Sie ist ja meine Braut. Aber das werde ich nicht tun. Ich werde ihr nichts Schlimmes tun, verstehen Sie, was ich meine? Sie ist nämlich sehr schön und jung. Vollkommen unschuldig, wissen Sie. Ich werde jedenfalls zärtlich zu ihr sein, sanft und taktvoll. Daß ich den direkten Weg eingeschlagen habe, heißt nicht, daß ich sie überrumpeln will.

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