Der Spiegel von Feuer und Eis
das Blut abgewaschen hatte. Die Kleider, die er trug, erinnerten sie unwillkürlich an Morgwens. Sein Hemd aus weißem Leder war an mehreren Stellen zerrissen und entblößte glatte, helle Haut. Zwischen seinen Rippen waren tiefe Wunden, die weit auseinanderklafften. In der Wärme der Stube hatte das gefrorene Blut noch einmal zu fließen begonnen. Rote Perlen tropften vom Tisch auf die gescheuerten Dielen. Auch sein Rücken schien … Cassim starrte auf die Verletzungen, blinzelte ein paar Mal. Nein! Nein, das kann nicht sein! – Eiserne Haken an langen Stangen, die auf einen riesigen weißen Wolf niedergingen, sich in seine Seite, seinen Rücken gruben. – Nein! Das ist nicht möglich! Sie konnte den Blick nicht von den Wunden lösen – Wunden, die einem Wolf zugefügt worden waren und an denen ein Mann gestorben war.
Der Boden schlug Wellen unter ihren Füßen, als ihr klar wurde, was das bedeutete. Ihr Blick huschte in die Richtung, in der sich der Schuppen befand. Feuer und Erde! Er auch?
Ailis’ Schluchzen weckte einen anderen Gedanken in ihr. Was werden diese Leute mit ihr und Lunn tun, wenn sie es auch herausfinden? Sie nahm die junge Frau fester in die Arme.
»Könntet Ihr …« Sie musste sich räuspern, um das Kratzen aus ihrer Stimme zu vertreiben. »Könntet Ihr ihn vielleicht …«
Endlich begriff einer der Männer, was sie wollte, und schlug die Wagendecke, in der sie den Leichnam zum Dorf zurückgebracht hatten, über den Körper. Cassim nickte dankbar und wollte Ailis fortbringen. Erst als sie sie daran erinnerte, dass sie noch immer einen kleinen Sohn hatte, der sie brauchte, ließ sie sich die Treppe hinauf und in die Kammer führen.
Oben erwartete die Frau des Wirtes sie mit mitleidigem Blick und der Nachricht, dass es dem Kind nicht besser ging. Stumm setzte Ailis sich wieder neben Lunn auf das Bett, zog ihn in ihre Arme und begann erneut, Schlaflieder zu singen. Ihre Augen schauten dabei seltsam leer geradeaus.
Jeder Schritt musste reine Qual sein. Seine eigenen Beine wollten ihn kaum tragen und der verletzte Hinterlauf schleifte nutzlos durch den Schnee. Eigentlich ruhte sein ganzes Gewicht auf dem Netz, das sie unter seinem Bauch hindurchgezogen hatten und dessen Seiten vier von ihnen hielten. Gaeth blickte auf das Dorf hinunter. Die Berührung des Eisens brannte noch immer auf seinen Handflächen. Er spuckte aus, wandte sich Boru und Donchad zu, nickte schweigend. Die beiden verschwanden wie Schatten zwischen den Bäumen. Sollten die Menschen so töricht sein, sich heute Nacht in den Wald zu wagen, würden sie
sterben. Gaeth drehte sich um und schloss mit langen Schritten zu den anderen auf. Schon vor einiger Zeit hatte es angefangen zu schneien. Die dicken weißen Flocken und die Böen, die immer wieder durch sie hindurchfegten, würden ihre Spuren sehr schnell auslöschen.
Als sie das Dornendickicht erreicht hatten, das ihnen Schutz bot, bedeutete er den anderen, den Wolf vorsichtig in den Schnee zu legen. Rasch kniete er sich neben ihn, untersuchte die Wunde in seinem Hinterlauf, strich mit den Händen auf der Suche nach anderen Verletzungen aufmerksam durch das dichte Fell. Nach einem Moment wandte er sich wieder dem Bolzen zu. Zuerst musste das Eisen aus seinem Körper, die anderen Wunden konnten warten. Als ein Schatten auf ihn fiel, sah er auf, nickte dann aber seinen Dank, als Míren ein Tuch mit reinem, losem Schnee neben ihn legte. Behutsam strich er das Fell um den Bolzenschaft auseinander. Er presste die Lippen zusammen. Das, was davon noch aus der Wunde ragte, würde nur schwer zu packen sein. Dennoch versuchte er es.
Mit einem Knurrbelfern zuckte der Wolf hoch und herum. Die fürchterlichen Fänge schnappten nur eine Fingerbreite von Gaeths Gesicht zu. Rücklings stürzte er zu Boden. Sein Herz setzte mehrere Schläge aus, ehe es seinen Rhythmus wiederfand. Ein Stückchen weiter taumelte das riesige weiße Geschöpf auf drei Beinen durch den Schnee, brach schließlich wieder zusammen. Langsam stand Gaeth auf, ging mit dem schneegefüllten Tuch zu dem Wolf hin, kniete sich erneut neben ihn. Er hechelte mit aufgerissenem Maul. Sein Atem flog, auf der zerschnittenen Lefze glitzerte bläuliches Blut. In den weit geöffneten Augen war nichts mehr zu erkennen als Schmerz. Vorsichtig legte Gaeth die Hand hinter eines der empfindsamen Ohren, rieb es sanft. Die Wolfszunge schleckte schwach über den Schnee.
»Tornen, Lonan: Packt seine Läufe und haltet ihn fest. – Gib
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