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Der Spiegel von Feuer und Eis

Der Spiegel von Feuer und Eis

Titel: Der Spiegel von Feuer und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Morrin Alex
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hatten, die Netze und Stricke zu lockern, geschweige denn, sie ganz zu entfernen. So drückten sich die Eisenstäbe in seinen Rücken und zwangen ihn, sich auf eine schier unmögliche Weise zusammenzukrümmen. Sein angestrengtes Röcheln klang qualvoll, immer wieder durchlief ihn ein Zittern, und er wand sich in seinen Fesseln. Beinah hätte man meinen können, er würde verzweifelt von den Stäben fortkommen wollen.
    Zwei Männer hielten im Inneren der Hütte Wache. Einen von ihnen erkannte Cassim als den Armbrustschützen Brec.
    »Seid Ihr gekommen, um Euch davon zu überzeugen, dass es dem Ungeheuer gut geht, Frau?« Er stellte seinen tönernen
Becher auf ein altes Fass, stand auf und stieß mit einer Harpune durch die Gitterstäbe nach dem Tier. Die Bestie bäumte sich auf, fiel zurück, schlug gegen die Eisen und winselte schmerzerfüllt.
    »Na, wie gefällt dir dein Gefängnis, Monster?« Brec lachte, stieß noch einmal zu. »Das Eisen hält dich zahm, was?«
    »Wie meint Ihr das?« Langsam kam Cassim näher. Wie gern hätte sie dem Mann sein Folterinstrument aus den Händen gerissen und auf seinem Rücken zertrümmert.
    »Die weißen Bestien ertragen die Berührung von Eisen nicht. Es bereitet ihnen unerträgliche Qualen, sagt man. Genauso soll es einer Hexe ihrer bösen Magie berauben. Wusstet Ihr das nicht? – Es gibt kein besseres Mittel, um dieses Biest zu bändigen, als Eisen.« Die Harpunenspitze zielte abermals auf den Wolf. Rasch trat Cassim vor und hinderte den Mann daran, erneut zuzustoßen. Er sah sie zornig an und sie gab den Harpunenschaft wieder frei. Ihr Blick fiel auf das dunkel verkrustete Fell des Hinterlaufs, auf den abgebrochenen Schaft des Armbrustbolzens, und sie begriff urplötzlich, was das für den Wolf bedeutete.
    Ihre Stimme klang gepresst, als sie Brec ansah. »Ich habe Wasser …«
    Der Mann riss ihr die Schale aus der Hand, noch ehe sie den Satz beendet hatte, und kippte ihren Inhalt auf den gestampften Lehmboden des Schuppens. Sie starrte einen Moment auf den feuchten Fleck, der sich zu ihren Füßen ausbreitete, dann wieder auf Brec.
    »Das Vieh hat meinen Bruder getötet. Seinetwegen sind gute Männer gestorben. Es ist ein Mörder! – Und es ist nur deshalb noch nicht tot, weil die anderen der Meinung sind, dass das Korn, das dieses Monster uns lebendig einbringt, Grund genug ist, es am Leben zu lassen. – Ich teile ihre Meinung nicht. Habt Ihr das verstanden?«
    Cassim schluckte und nickte, dann sah sie auf den Wolf hinab.
Die Maschen des Netzes um seinen Kopf schnitten tief in das empfindliche Fleisch seiner Lefzen. Ein grober Strick schnürte seine Kiefer zudem so fest zusammen, dass er nicht einmal mehr hecheln konnte. Die vor Hass brennenden Augen folgten jeder ihrer Bewegungen, als sie vor dem Käfig langsam in die Knie ging und die Hand durch die Gitter schob. Sie wurde im selben Moment zurückgerissen, als sie die Finger nach den Riemen ausstreckte, die seine Schnauze umschnürten, und die Kreatur mit einem erstickten Belfern hochzuckte, um sie zu beißen.
    »Seid Ihr von Sinnen, Frau? – Tut das nie wieder. Das Biest reißt Euch den Arm ab, ehe Ihr begreift, was mit Euch geschieht.«
    Cassim rieb sich die Schulter, als Brec sie endlich losließ. »Ihr könnt die Riemen nicht ewig um sein Maul lassen. Wenn er erstickt, werdet Ihr ihn nicht mehr in den Süden verkaufen können.«
    Brec blickte sie mit schmalen Augen an, nahm eine der Fackeln aus ihrer Halterung und stieß sie durch das Gitter.
    »Nein!« Cassims Aufschrei wurde nicht beachtet. Von einem Augenblick auf den anderen stank es durchdringend nach versengtem Fell.
    Sie glaubte Brec etwas wie »Das war für meinen Bruder« zischen zu hören, als er die Fackel wieder hob und zurücktrat. Das weiße Ungeheuer knurrte dunkel. Die Stricke lagen noch immer um seine Schnauze, doch ein paar schienen unter den Flammen nachgegeben zu haben, sodass es ein wenig besser atmen konnte.
    »Zufrieden, Frau?« Die Stimme drang nur langsam in Cassims Verstand. Noch immer voller Grauen sah sie den Wolf an. Er starrte zurück. Dann schloss er die Augen, als sei es die Anstrengung nicht wert – als sei sie diese Anstrengung nicht wert.
    Sie konnte kaum den Blick von ihm losreißen. Seltsamerweise schmerzte seine stumme Verachtung sie mehr, als es die
Worte eines Menschen gekonnt hätten. Sie drehte sich zu Brec um.
    »Nein!«
    Ein Schnauben antwortete ihr, dann wurde sie am Arm gepackt und nach draußen gezerrt. »Verschwindet!

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