Der Spiegel von Feuer und Eis
hochbeiniger Jerne saß. Jeder von ihnen kostbar in Pelze und teures, mit Stickereien verziertes Tuch gekleidet. Dazwischen Männer, bewaffnet mit Armbrüsten und Spießen, auf denen Reif glitzerte. Eine verabscheuungswürdige Jagdgesellschaft, an deren Spitze sich Prinz Kaylen selbst befand. Das Zaumzeug seines Jern war mit winzigen goldenen Glöckchen verziert, und seine gewundenen Geweihhörner, deren Enden sich zu feineren Ästen verzweigten, waren kunstvoll mit Silberdraht umschlungen. Dicke Schneeflocken wirbelten auf dem kleinen Platz mit einer erstarrten Brunnenfontäne in einem gespenstischen Tanz und legten sich auf den mit glitzernden Rubin- und Obsidiansplittern bestickten Pelz des Prinzen. Sein dunkles Haar wurde im Nacken von einer wertvollen Spange zusammengehalten. Ein
goldener Reif, auf dem Rubine blitzten, bändigte es zusätzlich. In der Hand hielt er den verzierten Griff einer Peitsche, deren Schnur feurig glomm.
Sein zornig hervorgestoßenes »Lauf!« wurde von einem weiteren Knall begleitet und erst jetzt hatte sie Morgwen durch das Flockengewirbel hindurch gesehen. Längliche Risse und dunkle Flecken verunzierten sein Hemd, an seiner Lippe klebte Blut. Zu ihrem absoluten Entsetzen stand er da und lachte Prinz Kaylen aus. Der Schlag auf den Kopf musste ihn den Verstand gekostet haben.
Und dann hatte der Prinz mit einem wütenden Schrei sein Jern auf Morgwen zugetrieben, die Peitsche zum nächsten Schlag erhoben. Offenbar war er dazu entschlossen, ihn entweder von dem Tier niedertrampeln zu lassen oder ihn auszupeitschen, bis er ihnen die Jagd lieferte, die sie wollten – oder tot zu ihren Füßen zusammenbrach. Sie war vorwärtsgesprungen, ohne an ihre eigene Sicherheit zu denken, hatte sich zwischen Prinz Kaylen und Morgwen geworfen. Das mörderische Brennen in Morgwens Augen hatte sie erschreckt, doch einen Lidschlag später war es verschwunden gewesen. Er hatte sie mit einem Fluch am Handgelenk gepackt und in das Halbdunkel der nächsten Gasse gezerrt. Prinz Kaylens Gelächter hatte ihr einen Schauer über die Haut gejagt.
Die Stimmen der Männer jenseits ihres Verstecks klangen ein wenig leiser, weiter entfernt. Langsam öffnete sie die Augen. Ihr wilder Herzschlag hatte sich etwas beruhigt und auch ihre Atemzüge kamen nicht mehr länger in schmerzhaften Stößen. Sie begegnete Morgwens Blick. Er schüttelte den Kopf, und sie begriff, dass es ein wortloser Tadel war. Ärger wallte in ihr empor.
»Sie wollten dich zu Tode hetzen.« Ihre Stimme war nur ein Fauchen.
Erneut schüttelte er den Kopf, diesmal waren seine Brauen ein Stück zusammengezogen. »Jetzt haben sie das Gleiche auch
mit dir vor«, zischte er zurück, während er angespannt lauschte. Einen Moment später sah er sie wieder an.
»Er hat recht. Wenn wir hierbleiben, werden sie uns finden. Und es ist für dich zu kalt, um nur bewegungslos in einer Ecke zu kauern.« Sein Blick ging zu dem Eisspalt hin, wanderte über die Mauer, durch den Raum, hinauf zu den Deckenbalken. »In den Gassen können wir ihnen nicht entkommen. – Wir müssen auf die Dächer.«
»Was?« Scharf sog Cassim den Atem ein.
»In den Gassen kennen diese Kerle sich aus. In ihnen müssen wir den gleichen Weg zurücklegen wie sie. Auf den Dächern nicht.« Morgwen zog sie langsam vom Boden hoch, bewegte sich geduckt durch das Innere des Hauses, ohne ihre Hand loszulassen. Sie hatte keine andere Wahl, als ihm zu folgen. Fackelschein huschte draußen über das Eis. Er kauerte sich hinter einen Tisch, riss sie neben sich. Das Licht wanderte weiter. Einen Augenblick verharrten sie, wo sie waren. Dann ein Zupfen an ihrem Arm. Noch immer tief gebückt, ging es weiter, bis zu einer Tür im hinteren Teil des Raumes. Sie war nur einen Spaltbreit offen, ebenso angefroren wie alles andere in diesem Haus. Mühsam zwängten sie sich hindurch. Ein Eiszapfen löste sich vom Türsturz, zersplitterte auf dem Boden. Sie hielten gemeinsam den Atem an. Draußen hallte ein Ruf durch die Gasse. Stimmen wurden laut, Hufschlag kam näher. Ein kurzer Blick, dann hasteten sie den schmalen Gang entlang und die eisüberzogene Treppe an seinem Ende hinauf. Die Geräusche wurden leiser, gedämpft durch Eis und Mauern. Die Stufen führten zu einer weiteren Tür, wieder war da nur ein Spalt. Cassim glitt als Erste hindurch. Morgwen folgte ihr. Sie standen in einer kleinen Schlafstube. Die schräge Decke über ihren Köpfen verriet, dass sie sich direkt unter dem Dach des Hauses
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