Der Spiegel von Feuer und Eis
bei ihnen zu sein?« Sein Ton war weich, als er nach einigen langsamen Atemzügen abermals sprach, und trieb Cassim die Tränen in die Augen.
Die Lippen fest zusammengepresst, wischte sie sie weg, nickte. »Und was ist mit dir?«, fragte sie, als sie sicher war, dass ihre Stimme ihr wieder gehorchte.
»Mit mir?« Verwundert neigte er den Kopf.
»Ja. Was ist mit deinen Eltern?«
Morgwen zögerte, dann stieß er ein Schnauben aus. »Meinen Vater kenne ich nicht. Und meine Mutter … Sie ist ein Miststück. Ich bin froh, wenn ich ihren Klauen von Zeit zu Zeit entkommen kann.«
»Du magst sie nicht besonders.«
»Mögen?« Sein Lachen klang kalt, hart und bitter. »Nein! Bestimmt nicht! – Aber das beruht auf Gegenseitigkeit. Ich frage mich schon seit Ewigkeiten, warum sie mich nicht bereits vor langer Zeit einfach umgebracht hat.« Seine Hand wischte
mit einer Geste durch die Kälte, die Es bedeutet mir nichts zu sagen schien.
»Bist du deshalb in die Wälder gegangen?«
»Unter anderem. – Ja.«
Cassim schaute auf ihre ineinanderverschränkten Finger. »Das klingt sehr einsam.«
»Ist es nicht. Ich habe Freunde. Sie sind meine Familie.« Ein Schatten huschte über seine Züge. »Ich werde alles tun, um sie zu beschützen.« Er wandte das Gesicht ab, blickte erneut in die Nacht hinaus. Beklemmendes Schweigen legte sich über sie.
»Was … was wirst du tun, wenn ich den Spiegel wieder zusammengesetzt habe?«, wagte Cassim irgendwann zu fragen.
Dieses Mal zögerte er so lange, dass sie schon glaubte, er hätte sie nicht gehört. »All das hinter mir lassen. – Und dorthin zurückgehen, wo ich hingehöre: in die Wälder.« In seiner Stimme klang ein seltsamer Zweifel mit.
»Warum …«
»Du solltest schlafen gehen!« Er sah Cassim mit einem merkwürdigen Glitzern im Blick an. »Jetzt!«
Verwirrt blinzelte sie – und schaffte es gerade noch, die Hand vor den Mund zu schlagen, um ihr Gähnen zu verbergen. Sie lächelte entschuldigend und glitt von der Reling. »Du hast recht. – Gute Nacht!« Es musste die Müdigkeit sein, die sie dazu brachte, sich zu ihm zu beugen und ihm einen zarten Kuss auf die Wange zu hauchen, anders konnte sie es sich selbst nicht erklären. »Schlaf gut!«
Morgwen starrte sie an. Noch immer lächelnd, drehte Cassim sich um und ging unter Deck.
Am Morgen wurde sie von einer kalten Berührung aus dem Schlaf geschreckt. Sie fuhr zwischen den Decken ihres Bettes
auf und blinzelte im Halbdunkel ihrer Kammer die Gestalt an, die sich über sie neigte.
»Aufstehen, Flammenkatze.« In ihrer Schlaftrunkenheit wollte ihr Verstand nur langsam zu sich kommen, doch schließlich begriff sie, dass es Morgwen war, der sich – eine Hand gegen die Holzplanken über ihrem Kopf gestemmt – über sie beugte.
»Was …«, sie schluckte den schalen Geschmack hinunter, den sie auf der Zunge hatte. »Was ist denn?«
»Die Sonne ist vor einer Stunde aufgegangen. Wir werden nicht mehr länger auf Ernan warten.« Er stieß sich von den Planken ab und richtete sich auf. »Steh auf und nimm deine Sachen, damit wir aufbrechen können.«
Die Wolldecke und den fellgefütterten Umhang vor die Brust gepresst, setzte sie sich endgültig auf.
»Willst du wirklich allein weitergehen?«
»Ja.« Morgwen nickte. »Beeil dich! Wir haben auf diesem verdammten Schiff schon genug Zeit verloren.« Damit war er zur Tür ihrer Kammer hinaus.
Als Cassim wenig später mit ihrem Bündel über der Schulter reisefertig an Deck kam, empfingen sie hitzige Stimmen. Auf der dem Ufer zugewandten Seite des Schiffes stritt Morgwen mit dem Mann, dem Ernan während seiner Abwesenheit den Befehl übergeben hatte. Schneeflocken tanzten unruhig in der eisigen Luft. Einige der Männer standen in der Nähe der Planke, die an Land führte, die Hände scheinbar nachlässig an den Schwertgriffen. Die anderen hatten sich auf dem Deck verteilt, ohne Morgwen und Ernans Stellvertreter aus den Augen zu lassen. Ein Stück abseits wartete Jornas mit verkniffenem Gesicht, seinen Beutel an sich gepresst, und beobachtete alles schweigend.
Sie räusperte sich leise und doch laut genug, dass man es auch noch in einigen Schritt Entfernung hören konnte. Sofort verstummten die beiden Streitenden. Morgwen wandte sich ihr zu.
»Bist du bereit?«
Auf Cassims »Ja!« blickte er zu Jornas hin, nickte ihm zu.
»Gehen wir!«
Ernans Stellvertreter versperrte ihm den Weg. »Das kann ich nicht zulassen. Meine Befehle verbieten es!«
Langsam senkte
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