Der Spieler (German Edition)
wenn du nicht so auf Unsterblichkeit aus wärst, hättest du deine Aktien schon vor langer Zeit zurückkaufen können.« Er bedachte Belari mit einem kalten Blick. »Wenn du unsterblich sein willst, dann wirst du dich TouchSense anschließen. Die Akzeptanz am Markt ist schon jetzt enorm. Das ist die Zukunft der Unterhaltungsindustrie.«
»Ich bin Schauspielerin und keine Marionette. Mir ist nicht danach, Menschen in meine Haut schlüpfen zu lassen.«
»Wir alle bezahlen einen Preis für unsere Berühmtheit«, erwiderte er achselzuckend. »Wenn sich der Markt bewegt, dann müssen wir ihm folgen. Keiner von uns ist wirklich frei.« Er sah Belari vielsagend an. »Jedenfalls nicht, wenn wir ewig leben wollen.«
Belari lächelte geheimnisvoll. »Vielleicht.« Dann nickte sie Lidia zu. »Du musst los. Gleich ist es so weit.« Sie wandte sich wieder an Vernon. »Es gibt da etwas, das du dir ansehen solltest.«
Stephen hatte ihr die Phiole einen Tag vor seinem Tod geschenkt. Sie war kaum größer als ihr kleiner Finger, und Lidia hatte ihn gefragt, was es mit den wenigen darin enthaltenen Bernsteintropfen auf sich hatte. Dabei hatte sie ihn neckisch angelächelt, doch Stephen war ganz ernst geblieben.
»Freiheit«, hatte er geantwortet.
Sie hatte verständnislos den Kopf geschüttelt.
»Sobald du eine Wahl hast, bestimmst du selbst über dein Leben. Du musst nicht länger Belaris Haustier sein.«
»Ich bin nicht ihr Haustier.«
Er hatte den Kopf geschüttelt. »Wenn du jemals entkommen möchtest«, und dabei hatte er die Phiole hochgehalten, »dann kannst du das hiermit tun.« Damit hatte er ihr das winzige Fläschchen in die Hand gedrückt und ihre blassen Finger darum geschlossen. Die Phiole war mundgeblasen. Lidia hatte kurz überlegt, ob sie vielleicht aus der Werkstatt ihrer Eltern stammen mochte. »Wir kleinen Leute gelten hier doch nichts«, hatte Stephen ihr erklärt. »Nur Menschen wie Belari können bestimmen. In anderen Teilen der Welt, da ist das anders. Auch Menschen wie wir sind dort von Bedeutung. Aber hier«, er hatte traurig gelächelt, »haben wir nichts außer unserem Leben.«
Da hatte Lidia allmählich begriffen. Zunächst war sie versucht gewesen, sich ihm zu entziehen, aber Stephen hatte sie festgehalten. »Ich sage ja gar nicht, dass du das jetzt möchtest, aber vielleicht irgendwann. Möglicherweise entscheidest du dich dann dagegen, weiter mit Belari zusammenzuarbeiten. Mit wie vielen Geschenken sie dich auch überhäufen mag.« Zärtlich hatte er ihre Hand umfasst. »Es wirkt schnell. Nahezu schmerzfrei.« Und sein Blick aus den sanften braunen Augen war so gütig gewesen wie jedes Mal, wenn er sie anschaute.
So töricht es auch gewesen sein mochte, so war es doch ein Geschenk der Liebe, und weil Lidia wusste, dass sie ihn damit glücklich machen würde, hatte sie nickend eingewilligt, die Phiole zu behalten. Dann hatte sie das Fläschchen in ihr Geheimversteck gebracht, nur für den Fall. Wie hätte sie wissen sollen, dass Stephen seinen eigenen Tod damals bereits beschlossen hatte, dass er Belari mit einem Messer angreifen und beinahe an sein Ziel gelangen würde.
Keiner bemerkte, wie die Flötenmädchen ihren Platz auf dem Podium in der Mitte des Raumes einnahmen. Sie waren nur eine Kuriosität unter vielen, blasse Engel, ineinander verschlungen. Lidia führte den Mund an die Kehle ihrer Schwester, fühlte den Puls unter der weißen, weißen Haut rasen. Er pochte an ihrer Zunge, mit der sie das kleine Bohrloch im Körper ihrer Schwester ertastete. Gleichzeitig schmiegte sich Nias feuchte Zunge an ihren Hals, wie eine nasse Maus, die sich irgendwo verkriechen will.
Lidia hielt still und wartete darauf, dass die Menschen ihre Aufmerksamkeit auf sie richten würden, geduldig und vollkommen auf die Vorführung konzentriert. Sie spürte, wie sich Nias Lunge im zarten Käfig ihrer Brust ausdehnte. Auch Lidia atmete ein. Sie begannen zu spielen, zunächst nur Lidias Noten, die den geöffneten Klappen in ihrem Körper entwichen, dann setzte Nia mit ein. Der offene Klang, in eindringliche Töne verwandelter Atem, strömte durch ihre Körper hindurch.
Die melancholischen Töne verhallten. Lidia wandte den Kopf, atmete ein und wurde zum Spiegelbild von Nia, während sie die Lippen erneut auf den Körper ihrer Schwester drückte. Dieses Mal küsste Lidia Nias Hand. Nias Mund hingegen fand die zarte Kuhle an ihrem Schlüsselbein. Eine traurige Melodie, zart wie sie selbst, drang aus
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