Der Spieler (German Edition)
»Etwa Leute wie Mirriam? Die sollen über ein Lehen herrschen? Das wäre Wahnsinn. Niemand würde sie ernst nehmen.«
Stephens Gesicht hatte sich verfinstert. »Es ist wahr«, beharrte er, und weil Lidia ihn mochte und ihn nicht traurig machen wollte, hatte sie sich mit ihm darauf geeinigt, dass es wahr sein könnte, obwohl sie felsenfest davon überzeugt war, dass Stephen einfach ein Träumer war. Das machte ihn ja so liebenswert, mochte er die Realitäten des Lebens auch nicht begreifen.
»Magst du Belari?«, hatte Stephen dann unvermittelt gefragt.
»Was meinst du damit?«
»Magst du sie?«
Lidia hatte ihn verwundert angeschaut. Und war seinem prüfenden Blick begegnet. Sie hatte mit den Achseln gezuckt. »Sie ist eine gute Lehnsherrin. Für jeden ist gesorgt, und alle haben genügend zu essen. Nicht so wie in dem Lehen von Meister Weir.«
Stephen hatte angewidert das Gesicht verzogen. »Nichts gleicht dem Lehen von Weir. Er ist barbarisch. Einen seiner Diener hat er pfählen lassen.« Stephen hatte gezögert. »Dennoch ... schau dir doch an, was Belari dir angetan hat.«
»Was meinst du damit?«, hatte Lidia gefragt.
»Du bist nicht natürlich. Allein deine Augen, deine Haut, und ...«, er hatte den Blick abgewandt und die Stimme gesenkt, »deine Knochen. Was sie mit deinen Knochen angestellt hat.«
»Was stimmt denn nicht mit meinen Knochen?«
»Du kannst ja kaum laufen!«, rief er unvermittelt. »Du solltest laufen können!«
Lidia hatte sich nervös umgesehen. Stephen äußerte Kritik. Vielleicht wurden sie belauscht. Auch wenn es so wirkte, als seien sie hier ganz allein, war doch immer jemand in der Nähe: Sicherheitsleute an den Hängen, Patrouillen überall. Burson konnte irgendwo mit der Umgebung verschmolzen dastehen, ein Steinmann zwischen Felsbrocken. Stephen fiel es schwer, Burson zu verstehen. »Ich kann laufen«, hatte sie grimmig zurückgeflüstert.
»Wie oft hast du dir schon das Bein oder einen Arm gebrochen?«
»Schon ein Jahr lang nicht mehr.« Und darauf war Lidia stolz. Sie hatte gelernt, vorsichtig zu sein.
Stephen hatte ungläubig aufgelacht. »Weißt du, wie oft ich mir in meinem Leben etwas gebrochen habe?« Ihre Antwort hatte er erst gar nicht abgewartet. »Kein einziges Mal. Nicht einen Knochen. Niemals. Kannst du dich überhaupt noch daran erinnern, wie es sich anfühlt zu laufen, ohne Angst zu haben, dass du stolpern oder mit jemand zusammenstoßen könntest? Du bist wie aus Glas!«
Lidia hatte den Kopf geschüttelt und den Blick abgewandt. »Ich werde ein Star sein. Belari wird uns an die Börse bringen.«
»Aber du kannst nicht mal laufen«, hatte Stephen wiederholt. Der mitleidige Ausdruck in seinen Augen war Lidia unerträglich gewesen.
»Das kann ich wohl. Und es ist genug.«
»Aber ...«
»Nein!« Lidia hatte den Kopf geschüttelt. »Für wen hältst du dich, dass du mir sagst, was ich tun und lassen kann? Schau doch, was Belari dir antut, und trotzdem hältst du immer noch zu ihr! Ich bin vielleicht ein paar Mal operiert worden, aber wenigstens bin ich nicht ihr Spielzeug!«
Zum allerersten Mal war Stephen zornig geworden. Einen Moment lang hatte Lidia geglaubt, er würde zuschlagen und ihr einen Knochen brechen, so wutverzerrt war sein Gesicht gewesen. Ein wenig hatte sie sogar darauf gehofft, dass er diese unerträgliche Anspannung zwischen ihnen auflösen würde: zwei Bedienstete, die sich wechselseitig vorwarfen, Sklaven zu sein.
Stattdessen hatte Stephen sich wieder gefasst und ihr Streitgespräch beendet. Dann hatte er sich entschuldigt und ihre Hand genommen, und sie waren ruhig nebeneinander sitzen geblieben, während die Sonne unterging. Aber da war es bereits zu spät gewesen und ihr friedliches Beisammensein ruiniert. Lidia hatte an die Zeit vor den Operationen zurückdenken müssen, als sie noch sorglos umherrennen konnte. Und auch wenn sie das Stephen gegenüber niemals zugegeben hätte, so hatte es sich angefühlt, als hätte er dicken Schorf abgerissen und die darunter liegende tiefe Wunde bloßgelegt.
Im Aufführungssaal drängten sich von Tingle und Champagner berauschte Menschen, deren Anspannung fast schon mit den Händen greifbar war. Während Belaris Gäste in glänzende Seide und funkelndes Gold gehüllt ihre Runden zogen und dabei in bunten Gruppen durch den Raum trieben, sich zum Gespräch zusammenballten und fröhlich lachend wieder auseinanderstoben, zogen flackernde Blitze über den Musselin an den Wänden. Vorsichtig
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