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Der Spieler (German Edition)

Der Spieler (German Edition)

Titel: Der Spieler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Pacigalupi
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überlebt.«
    Vom Gelächter der Jai-Frauen begleitet, berichtete Bia’Hanna weiter von Raphels Missetaten im Kindesalter: Zuckerklumpen, die einfach verschwanden, sobald eine der Frauen auch nur blinzelte, umgestülpte elektrostatische Masken, Ziegen, deren Schwänze brannten – die Geschichten sprudelten nur so aus ihr heraus. Dann endlich war der Brunnen ihres Erinnerungsvermögens versiegt, und sie hielt inne, um Raphel eingehend zu betrachten. »Verrate mir eins, ehrwürdiger Pascho. Essen die Menschen in Keli tatsächlich Fisch? Direkt aus ihren Seen?«
    Raphel lachte. »Sie fragen, ob wir tatsächlich Kojote essen.«
    »Ja, ja. Aber die Bräuche, Raphel ... du hast doch keinen Fisch gegessen, oder etwa doch?« 
    Die Frauen verstummten, hielten unwillkürlich den Atem an und richteten den Blick auf ihn.
    Raphel lächelte sanft. »Nein, natürlich nicht.«
    Bia’Hanna lachte. »Na also, siehst du, Jai Bia’? Die Herkunft setzt sich durch. Du kannst einen Jai nach Keli bringen, aber seine Abstammung wird ihn stets verraten. Blut ist eben dickflüssiger als Wasser.«
    Zwar nickten alle Frauen zufrieden und ein wenig übereifrig, doch ihre Augen verrieten, wie erleichtert sie waren, dass er nicht mit den Sitten der Jai gebrochen hatte. Ein Jai würde eher sterben, bevor er verunreinigtes Fleisch essen würde. Die Jai hielten sich an die alten Bräuche.
    Die Frauen fuhren mit ihrer Unterhaltung fort. Während sie spekulierten, wann wohl der Regen einsetzen würde und ob Bia’Renados Tochter zu oft in der Gesellschaft dieses einen verheirateten Hakenmesser-Kriegers gesehen wurde,war Raphel bald vergessen.
    Sein Blick glitt zum Eingang. Im dahinterliegenden Hof brannte die Sonne auf die Erde nieder. In die Helligkeit und die Hitze mischten sich männliche Stimmen: sein Vater und dessen Freunde. Schon bald würde er sich zu ihnen gesellen. Dem Ritus entsprechend würden sie ihm erst einen Becher Mez hinschieben und dann vorsichtig zurückweichen, um Quaran einzuhalten. Zehn Herzschläge später würde er die Tasse vom Pflasterstein des Hofes aufnehmen, und sie würden gemeinsam dem blauen Himmel zuprosten, einen Schluck in den Staub kippen und anschließend trinken, bis der starke Schnaps auf der ausgedörrten Erde verdampft war. Dieses Trinkritual würden sie so lange wiederholen – immer wieder einschenken und austrinken, immer betrunkener werdend –, bis die Sonne den Horizont berühren würde und sich die Ruinen der alten Stadt im schwächer werdenden Licht rot färben würden.
    Wenn er ganz genau hinhörte, konnte Raphel der Unterhaltung der Männer folgen. »Von mir hat er seinen Grips nicht geerbt«, hörte er seinen Vater lachend sagen. »Muss sein Großvater gewesen sein.« Die Hakenmesser-Krieger johlten, weil sie an den alten Gawar dachten, dessen Messer wie Tornados umhergewirbelt waren und der auf die Gräber der Paschos gespuckt hatte, die er während des Keli-Kreuzzugs gerichtet hatte. Legendäre Taten aus sagenumwobenen Zeiten. Heute jedoch fuhren die Breiträder der Keli unbehelligt durch den trockenen Talkessel, die jungen Jai lauschten den Radiosendern der Keli und sprachen Keli-Slang, und der Enkel des alten Gawar war von Kopf bis Fuß mit den Pascho-Geheimnissen aus Keli bedeckt. Raphel konnte sich noch gut an seinen Großvater erinnern: ein verhutzelter dürrer Mann, der seine roten Gewänder offen trug, damit ein jeder den männlichen, weißen Pelz auf seiner knochigen Brust bewundern konnte. Ein Bild von einem Mann. Selbst mit anderthalb Jahrhunderten immer noch ein großer Jai. Raphel rief sich seine schwarzen Adleraugen ins Gedächtnis zurück, seinen durchdringenden Blick, mit dem er Raphel näher zu sich gezogen hatte, um ihm flüsternd von seinen blutigen Heldentaten zu erzählen. Er hatte Raphel das Selbstverständnis eines Jai einimpfen wollen, indem er ihm dunkle Dinge ins Ohr gemurmelt hatte, bis seine Mutter sie dabei erwischt und Raphel weggezerrt hatte. Dann hatte sie den Alten gescholten, weil er dem Jungen Angst einjagte, aber der gelähmte Gawar hatte einfach nur in seinem Stuhl gesessen und zufrieden gelächelt, die mörderischen schwarzen Augen auf seinen Nachkommen gerichtet.
    Bei der Erinnerung schüttelte Raphel den Kopf. Die geflüsterten Gräueltaten des alten Mannes hatten ihn selbst noch im weit entfernten Keli in seinen Träumen heimgesucht. Diesen Mann konnte man nicht so leicht vergessen. Schon gar nicht in Keli. Überall hatte er dort seine Spuren

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