Der Spieler
erschreckt, mein Herr«, rief der General.
»Aber nicht im geringsten. Mir ist schon in Berlin das ständig wiederholte Wort ›jawohl‹ unangenehm aufgefallen, das sie auch so abscheulich in die Länge ziehen. Als ich den Herrschaften heute in der Allee begegnete, kam mir plötzlich dieses ›jawohl‹ wieder in den Sinn, ich weiß nicht warum, und wirkte aufreizend auf mich … Überdies hat die Frau Baronin bei jeder Begegnung mit mir, schon zum dritten Mal, die Angewohnheit, unbeirrt auf mich zuzugehen, als wäre ich ein Wurm, den man zertreten darf. Sie werden doch zugeben, daß auch mir ein Ehrgefühl eigen ist. Ich zog den Hut und sagte höflich (ich versichere Ihnen, ausgesucht höflich): ›Madame, j’ai l’honneur d’être votre esclave.‹ Als der Baron sich nach mir umwandte und schrie: ›Gejn‹, fühlte ich mich plötzlich bewogen, ebenfalls zu schreien: ›Jawohl!‹ Ich schrie es zwei Mal. Einmal in gewöhnlicher, das zweite Mal in voller Lautstärke. Das war alles.«
Ich gestehe, daß ich an dieser in höchstem Maße spitzbübischen Erklärung großen Spaß hatte. Ich hatte die erstaunlichste Lust, diese absurde Geschichte möglichst in die Länge zu ziehen.
Und je länger es ging, desto mehr Geschmack fand ich daran.
»Sie machen sich wohl über mich lustig!« schrie der General. Er wandte sich an den Franzosen und erklärte ihm auf französisch, daß ich mich entschlossen hätte, einen Skandal vom Zaune zu brechen. Des Grieux lächelte darauf maliziös und zuckte mit den Schultern.
»Oh, das dürfen Sie nicht denken, nie und nimmer!« beschwor ich den General. »Natürlich war mein Verhalten nicht liebenswert, und ich bekenne es Ihnen mit aller denkbaren Aufrichtigkeit. Mein Verhalten kann sogar ein törichter und unschicklicher Schulbubenstreich genannt werden, aber – mehr war es nicht. Und wissen Sie, mein General, ich bereue es in allerhöchstem Grade. Aber da gibt es einen besonderen Umstand, der mich, meiner Ansicht nach, sogar vor einer Reue so gut wie bewahren kann. In der letzten Zeit, etwa seit zwei, sogar seit drei Wochen, fühle ich mich miserabel: krank, nervös, reizbar, versponnen, und verliere hin und wieder gänzlich jede Selbstbeherrschung. Wirklich, mich überkam ein paar Mal die unüberwindliche Lust, plötzlich auf Marquis des Grieux zuzugehen und ihn … Ach was, dieser Satz bleibt unvollendet, er könnte sonst gekränkt sein. Mit einem Wort, das alles sind Krankheitssymptome. Ich bin nicht sicher, ob Baronin Wurmerhelm diesen Umstand in Betracht zieht, wenn ich sie um Entschuldigung bitten werde (denn ich gedenke, sie um Entschuldigung zu bitten). Ich nehme an, sie wird es nicht tun, zumal dieser Umstand in letzter Zeit, soweit mir bekannt ist, in der Rechtsprechung zunehmend mißbraucht wird: Die Rechtsanwälte haben bei Strafprozessen die Unschuld ihrer Mandanten, regelrechter Verbrecher, dadurch beweisen wollen, daß diese bei Ausübung der Tat außer sich gewesen seien, was als besondere Krankheit gewertet werden müsse. ›Zugeschlagen, aber keine Ahnung davon gehabt.‹ Stellen Sie sich vor, General, die Medizin leistet ihnen Schützenhilfe, indem sie bestätigt, daß es eine wirkliche Krankheit gibt, zum Beispiel eine vorübergehende geistige Verwirrung, in der der Mensch sich beinahe an nichts erinnert oder nur die Hälfte oder gar ein Viertel des Vorgangs behält. Allerdings gehören der Baron und die Baronin einer früheren Generation an und sind zudem preußische Junker und Grundbesitzer. Ihnen ist dieser Progreß in der Rechtsprechung und in der medizinischen Wissenschaft gewiß noch unbekannt, und deshalb werden sie meine Erklärungen nicht gelten lassen. Was sagen Sie dazu, General?«
»Das reicht, mein Herr!« stieß der General in verhaltenem Zorn hervor. »Es reicht! Ich werde eine Möglichkeit finden, mich endgültig vor Ihren Schulbubenstreichen zu bewahren. Sie werden sich hüten, sich vor dem Baron und der Baronin zu entschuldigen. Jeglicher Kontakt mit Ihnen, selbst wenn es einzig und allein um Ihre Bitte um Verzeihung gehen sollte, müßte für beide allzu erniedrigend sein. Sobald der Baron erfuhr, daß Sie zu meinem Hause gehören, verlangte er eine Aussprache mit mir, bereits im Kurhaus, und es fehlte nicht viel, das möchte ich vor Ihnen nicht verschweigen, daß er Satisfaktion von mir gefordert hätte. Können Sie überhaupt begreifen, in was für eine Lage Sie mich gebracht haben – mich, verehrter Herr? Ich, ich war gezwungen,
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