Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Spieler

Der Spieler

Titel: Der Spieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
weiß ich nicht: vielleicht ein Verwandter, vielleicht war er nur wegen des Effekts von ihr mitgenommen worden. Diese Dame war mir schon früher aufgefallen; sie erschien täglich um ein Uhr mittags am Spieltisch und entfernte sich pünktlich um zwei; jeden Tag spielte sie eine Stunde. Sie war schon bekannt und wurde sofort mit einem Sessel bedient. Sie holte aus einer Rocktasche ein Paar Goldmünzen, einige Tausend-Francs-Noten und begann zu setzen, ruhig, kaltblütig, überlegt, wobei sie mit einem Bleistift auf einem Zettel die Zahlen notierte, um das System zu ergründen, nach welchem im Moment sich die Chancen gruppierten. Ihre Einsätze waren bedeutend, jeden Tag gewann sie eintausend, zweitausend, dreitausend, nicht mehr und nicht weniger, und zog sich nach dem Gewinn unverzüglich zurück. Babuschka beobachtete sie lange.
    »Na ja, diese wird nicht verlieren! Die da wird nicht verlieren! Was ist das für eine? Du weißt es nicht? Wer wird sie sein?«
    »Eine Französin, wahrscheinlich, von der gewissen Sorte«, flüsterte ich.
    »Aha, schon am Flug erkennt man das Vögelchen. Die hat scharfe Krallen. Und jetzt erklär’s mir, was jedes Umdrehen bedeutet und wie man setzt.«
    Ich erklärte Babuschka, so gut es ging, die zahlreichen Kombinationen beim Setzen, rouge et noire, pair et impair, manque et passe und zum Schluß die verschiedenen Subtilitäten im Zahlensystem. Babuschka hörte aufmerksam zu, versuchte zu behalten, stellte viele Fragen und prägte sich die Antworten ein. Für jedes Einsatzsystem konnte man auf der Stelle ein Beispiel zeigen, so daß vieles sich sehr leicht und schnell begreifen und behalten ließ. Babuschka zeigte sich äußerst zufrieden.
    »Und was ist Zéro? Da hat doch dieser Croupier, der Lockenkopf, der Anführer, gerade Zéro gerufen? Und warum hat er alles zusammengerecht, was eben gerade auf dem Tisch lag? Diesen ganzen Haufen hat er für sich genommen? Was soll das?«
    »Weil das Zéro, Babuschka, nichts anderes bedeutet als den Gewinn der Bank. Wenn die kleine Kugel auf Zéro fällt, gehört alles, was sich auf dem Tisch befindet, der Bank, ohne Abzug. Allerdings darf noch einmal gesetzt werden, aber die Bank zahlt nichts.«
    »So was! Ich bekomme also gar nichts?«
    »Nein, Babuschka; wenn Sie davor auf Zéro gesetzt hätten und wenn Zéro dann gekommen wäre, hätte man Ihnen das Fünfunddreißigfache ausgezahlt.«
    »Wie! Das Fünfunddreißigfache! Und das kommt oft vor? Und warum setzen sie, diese Dummköpfe, nicht auf Zéro?«
    »Sechsunddreißig Chancen sprechen dagegen, Babuschka.«
    »Quatsch! Potapytsch! Potapytsch! Moment, ich habe ja selbst Geld, hier!« Sie zog aus der Rocktasche eine vollgestopfte Börse und entnahm ihr einen Friedrichsdor. »Hier, setz sofort auf Zéro.«
    »Babuschka, Zéro ist gerade erst gekommen«, sagte ich, »also dauert es lange, bis es wieder kommt, Sie werden viel umsonst setzen; warten Sie wenigstens ein wenig.«
    »Red nicht, setz!«
    »Wie Sie wünschen, aber es ist möglich, daß Zéro bis zum Abend nicht kommt, Sie werden gut und gern einen Tausender verspielen, das ist schon vorgekommen.«
    »Quatsch, alles Quatsch! Fürchtest du den Wolf – geh nicht in den Wald. Wie? Verloren? Noch mal setzen!«
    Wir verspielten auch den zweiten Friedrichsdor und setzten einen dritten. Babuschka hielt nur mit Mühe auf ihrem Platz aus, sie verschlang förmlich mit glühenden Augen das auf den Zacken des rotierenden Rades springende Kügelchen. Wir verspielten auch den dritten. Babuschka war außer sich, hielt es kaum auf ihrem Platz aus und hieb sogar einmal mit der Faust auf den Tisch, als der Croupier »trente six« statt des erwarteten Zéro verkündete.
    »Den hat aber …!« wütete Babuschka, »will nun dieses verflixte Zéro nicht endlich kommen? Und kostet’s mich mein Leben, ich bleibe bis zu diesem Zéro hier sitzen! Dieser verwünschte Lockenkopf von Croupier ist an allem schuld, bei dem kommt das Zéro nie und nimmer! Alexej Iwanowitsch, setz zwei Goldene auf einmal! Du hast so wenig gesetzt, daß wir, auch wenn das Zéro gekommen wäre, nichts gewonnen hätten.«
    »Babuschka!«
    »Setzen, setzen! Nicht dein Geld.«
    Ich setzte zwei Friedrichsdor. Die Kugel flog lange über das Rad, endlich begann sie über die Zacken zu springen. Babuschka, atemlos, hielt krampfhaft meine Hand, und plötzlich – aha!
    »Zéro«, verkündete der Croupier.
    »Siehst du, siehst du!« Babuschka wandte sich blitzschnell zu mir, strahlend und

Weitere Kostenlose Bücher