Der Spinnenmann
Schild über dem Tor konnte ich lesen: »Baumaterialien. Kohle. Koks. Holz. Edv. Rustad. Tel: 11147.«
Ich zog am Tor. Wie erwartet, war es verschlossen. Ich stieß einige Male energisch dagegen, in der Hoffnung, Aufmerksamkeit zu erregen. Die riesigen Türflügel bebten und ächzten, aber niemand dahinter reagierte.
Auf der anderen Seite der Bjerregaards gate lag das Cafe Kielland. Ich nahm an, dass sie gerade erst geöffnet hatten. Im Lokal saßen keine Gäste, obwohl die Serviererin Thermoskannen mit heißem Kaffee bereitgestellt und frisch geschmierte Brötchen auf das Tablett gelegt hatte. Ich fühlte mich arg versucht, bei beidem zuzugreifen, so weit mein Geld das erlaubte. Ich hatte fast zwölf Stunden nichts mehr zu mir genommen. Aber ich begnügte mich mit einem Käsebrötchen zu meiner Tasse Kaffee.
Nachdem ich bezahlt hatte, stellte ich mich der Kellnerin vor. »Ich dachte, Sie könnten mir vielleicht etwas über den verstorbenen Edvard Rustad erzählen?«
Sie reagierte, als ob ich sie um die Erlaubnis gebeten hätte, sie auf der ersten Seite abzubilden. Das wäre an sich keine schlechte Idee gewesen. Sie war eine schlanke, hübsche Frau von Mitte zwanzig. Nachdem sie sich die Frisur und die Schürze glattgestrichen hatte, war sie bereit, sich für die »Zeitung zu äußern«. »Ja, Rustad, ja. Der war oft hier. Vorsichtiger Herr. Genügsam, das war er.«
»Sie meinen, wenn er ging, war er so nüchtern, wie er gekommen war?«
»Das wäre ja sonst noch schöner gewesen! Das hier ist ein alkoholfreies Cafe, wissen Sie!«
»War Rustad gestern Nachmittag hier?«
»Ja, sicher, klar war er das. Er kam um Viertel vor eins und ging um Viertel nach.«
»War er allein?«
»Ja. Er hat zum Kaffee zwei Brötchen gegessen.«
»Er hatte es nicht eilig, mit anderen Worten?«
»Nein, gar nicht. Er hat die Zeitung gelesen, nachdem er gegessen hatte, und sich dabei ganz schön viel Zeit gelassen.«
»Vielen Dank, Fräulein.«
»FRAU, müssen Sie schreiben. Frau Bergliot Jensen.«
Vermutlich würde sie enttäuscht werden. Ich glaubte kam, dass ich ihre Auskünfte verwenden könnte.
Ich setzte mich an einen Tisch und faltete Aftenposten auseinander. Ich musste nicht viele Zeilen lesen, bis ich vor Neid grün anlief. Kriminalrat Riisnaes hatte seinem jungen Freund von der Presse genug Auskünfte für ein ganzes Buch über den Mord gegeben. Als die Ermittler Rustad von der Decke befreit hatten, stellten sie fest, dass sein Hinterkopf blutverschmiert war. Am Mantelkragen des Leichnams fanden sie Gehirnsubstanz. Im Hinterkopf gab es vier Einschusslöcher, die gleich nebeneinander saßen, was bedeuten musste, dass er mit einer Automatikpistole erschossen worden war. Rustad habe in einer seltsam verdrehten Stellung gelegen, schrieb Medboe, als habe »der Fahrer ihn halbwegs zu Boden gedrückt, nachdem er von hinten erschossen worden war.«
Diese Beobachtung stimmte mich nachdenklich. Und bald ging mir auf, dass sie verschiedene Tathergänge ermöglichte. Neben Rustad mussten noch zwei Personen im Auto gewesen sein: eine hinter dem Lenkrad und eine auf der Rückbank neben Rustad. Allem Anschein nach hatte Letztere die tödlichen Schüsse abgegeben, und das konnte passiert sein, während das Auto sich bewegte. Der Mann hinter dem Lenkrad schob die Leiche auf den Boden, damit sie für Fußgänger und andere Autofahrer nicht zu sehen war. Erst nachdem die Täter am Grev Wedels plass gehalten hatten, deckten sie den Leichnam zu. Sie hatten sich Zeit gelassen, gründliche Arbeit zu verrichten. Die Ränder der Decke waren unter der Rücklehne festgestopft, schrieb Medb0e.
Ich las weiter. Die Polizei fand Rustads grauen Filzhut mit vier Löchern in der Krempe zwischen seinen Füßen. Ansonsten trug er einen Mantel und einen graugrünen Anzug und hatte verhältnismäßig neue Wanderstiefel an den Füßen. Seine Brieftasche, die nach Meinung der Polizei fünfhundert Kronen enthalten hatte, war verschwunden.
Dann kam ich zu einem Abschnitt, bei dem ich vom Stuhl hochfuhr. Zuverlässige Zeugen hatten Rustads Wagen am Vortag gegen zwei Uhr nachmittags beobachtet, als er auf dem Trondhjemsvei nach Norden fuhr. Zwanzig Minuten später hatten andere im Südosten des Bahnhofs Alnabru vier Schüsse gehört.
Es gab keinen Zweifel: Als die tödlichen Schüsse auf Edvard Rustad abgegeben worden waren, hatte ich weniger als einen Kilometer davon entfernt bei Fuhrmann Johansen Kaffee getrunken.
Das war ein großartiger Einstieg in die
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