Der Spinnenmann
vorschlug, die Regelung mit den getrennten Schlafzimmern aufzuheben, sah sie mich vorwurfsvoll an - so, als versuchte ich, das ihr gegebene Versprechen zu brechen.
Ebenso wenig war sie bereit, über Lennart zu sprechen. In den ersten Tagen war ich überzeugt, dass sie deswegen mehr Zeit brauchte, dass sie noch nicht bereit war, jemand anderen Lennarts Platz voll und ganz einnehmen zu lassen. Doch dann wurde mir klar, dass ihre Stimmungsschwankungen eine biologische Ursache haben konnten. Hatte sie vielleicht ihre Tage? Das war etwas, worüber Mädchen niemals offen sprachen, selbst für Kiss war das sicher zu privat.
Gleichwohl hatte ich mir Informationen über dieses Phänomen beschafft. Gemäß einem Artikel von Dr. Majken Borring, den ich in der Allgemeinen Zeitschrift für sexuelle Aufklärung las, tritt die periodische Blutung aus der Gebärmutterschleimhaut bei der geschlechtsreifen Frau in einem Abstand von vier Wochen auf. Die Dauer der Blutung beträgt zwischen drei und sechs Tagen. Nicht länger als der Zeitraum, in dem ihr Partner in der Lage ist, seinen Sexualtrieb in Schach zu halten, während er bei anderen körperlichen Aktivitäten Zuflucht sucht.
Ich suchte Zuflucht beim Holzfällen. Kiss brauchte Feuerholz, und ich widmete mich dieser Aufgabe mit sämtlicher Energie, die ich an den Tag legen konnte. Bei dreißig Grad Hitze brachte ich es fertig, einen kleinen Wald abzuholzen, ihn zu entästen und in Klötze passender Größe zu sägen, die ich entlang der Grundmauer des Hauses aufstapelte.
Doch als der Samstag kam, ohne dass Kiss ein Ende ihrer Monatsblutung signalisierte, reichte Holzfällen nicht länger aus, um mir die sexuelle Frustration vom Leib zu halten.
Schon seit dem frühen Morgen hatte ich das Gefühl, dass uns ein scheußlicher Tag bevorstand. Die Hitze war bereits kaum auszuhalten, als ich mir gegen neun die Axt über die Schulter schwang und mich auf den Abhang hinter dem Landhaus begab. Ich schwitzte am ganzen Körper, bevor ich auch nur mit dem Holzfällen begonnen hatte. Nie zuvor war der Wald so widerspenstig gewesen wie an diesem Tag, jeder einzelne Baum widersetzte sich mit dicken Wurzeln und schweren Ästen, die ständig im Weg waren. Um sie endlich zu Fall zu bringen, musste ich sämtliche mir zur Verfügung stehende Muskelkraft aufwenden und genaue Berechnungen anstellen. Die ganze Zeit hatte ich Kopfschmerzen, die schlimmer und schlimmer wurden.
Gegen drei hatte ich genug. Als ich zum Haus hinunterlief, sah ich das Unwetter. Es türmte sich über dem Kiefernwald auf; blauschwarze Wolken, die schon bald den Himmel mit dunklen, wirbelnden Dampfmassen bedecken würden. Die Luft hatte bereits diesen unnatürlichen Glanz angenommen, der von der aufgestauten Elektrizität des Gewitters herrührte.
Gleichwohl brach es erst gegen halb elf am Abend über uns herein. Kiss und ich hatten mit der Wermutflasche im Wohnzimmer Zuflucht gesucht. Wie sich zeigte, war dies die falsche Wahl. In der schwülen Luft fühlte ich mich schlapp und unwohl, mein Kopf schmerzte und die Stimmung war auf dem Nullpunkt. Ich trank viel.
»Das hat mir gerade noch gefehlt«, sagte ich mürrisch. »Mistwetter bis zum Ende der Ferien.«
Kiss sah mich mitleidig an. »Das ist doch gar nicht gesagt. Morgen scheint bestimmt wieder die Sonne, und dann freuen wir uns, dass das Gewitter die Luft gereinigt hat. Es war ja auch viel zu drückend in diesem Sommer …«
Ich unterbrach sie. »Morgen ist mein letzter Urlaubstag. Und worauf kann ich dann zurückblicken? Eine Woche mit Holzfällen, Holzfällen und noch mal Holzfällen!«
»Ja, aber du hast es doch so gewollt. Meinetwegen hättest du auch klettern und schwimmen und überhaupt tun können, wozu auch immer du Lust hattest…«
Ich blickte sie feindselig an. »Aber du bist mir dankbar, dass ich dir Brennholz beschafft habe!«
»Ja, selbstverständlich. Aber…«
»Nur komisch, dass ich keinen Beweis für diese Dankbarkeit sehe!«
Mit diesen Worten nahm ich die Wermutflasche und marschierte in mein Zimmer hinauf. Sobald ich alleine war, ging mir auf, wie ungerecht ich gewesen war. Lange lag ich da und versuchte einen Vorwand zu finden, um wieder hinunterzugehen, doch noch bevor mir etwas Brauchbares einfiel, brach das Unwetter los. Ein Blitz flammte über dem Wald auf, gefolgt von einem gewaltigen Donner. Ich zog mich schnell aus und kroch zurück unter die Decke. Ich rechnete damit, dass Kiss mir schon bald Gesellschaft leisten würde, doch da
Weitere Kostenlose Bücher