Der Spinnenmann
seinen Lüsten nachgehen konnte. Solange er dafür bezahlte.«
»Du meinst also, er kaufte Frauen, die bereit waren, sich auspeitschen zu lassen?« Sie nickte.
»Der Salon wurde von einer Frau geführt, Madame Keller. Doch es war nicht ihr Salon, der Besitzer war nämlich Hans von Manteuffel…«
Ich verstand, worauf sie hinauswollte.
»Und Manteuffel hat Lennart erpresst und gezwungen, für ihn zu arbeiten?«
»Ja, ich vermute, dass es so passiert ist.«
Ich dachte einen Augenblick nach.
»Und womit hat er ihn erpresst?«
Mit ernster Miene sah mich Kiss eine Weile an. »Ich kann dir nur erzählen, was ich für die Wahrheit halte, Erik. Beweisen kann ich es nicht. Aber so, wie ich es verstanden habe, hat Lennart einmal im Salon Keller ordentlich über die Stränge geschlagen. Es hatte zur Folge, dass ein Mädchen starb …«
»Was sagst du da?«
»Manteuffel verzichtete darauf, ihn anzuzeigen. Stattdessen verlangte er gewisse Gefälligkeiten.«
»Welcher Art denn?«
Sie schüttelte traurig den Kopf. »Ich weiß auch nicht mehr als du. Lennart hat mir so gut wie nichts über seine Geschäfte mit Manteuffel erzählt. Und jetzt ist er tot. Wir können nur Vermutungen anstellen.«
Lange saßen wir schweigend da.
»Es tut mir leid, Erik«, sagte Kiss schließlich. »Du hättest das alles gar nicht zu erfahren brauchen. Ich weiß, wie sehr du Lennart geschätzt hast.«
»Das hast du doch sicher auch«, erwiderte ich leicht verschnupft. »Obwohl er dich so behandelt hat.«
Sie sah mir in die Augen. »Armer Erik. Ich hätte nicht sagen sollen, dass ich Lennart immer noch liebe. Zumindest hätte ich mich anders ausdrücken müssen. Lennart war - was soll ich sagen? - ein verführerischer und hübscher Dämon. Ich bin immer noch von ihm besessen, und das werde ich so lange sein, bis du ihn mir endgültig austreibst.«
Ich stand auf und trat zu ihr. »Ich verspreche, mein Bestes zu tun.«
Ich wollte sie umarmen, aber Kiss hielt mich ab. »Eins muss ich dir noch gestehen«, sagte sie. »Ich habe dich zum Narren gehalten.«
»Hast du? Inwiefern?«
Eine leichte Röte überzog ihr Gesicht. »Ich habe dir weisgemacht, ich hätte meine Tage. Als ich merkte, wie sehr du dich darüber geärgert hast, hätte ich dir reinen Wein einschenken sollen.«
»Du hattest Angst, ich könnte die Narben sehen, meinst du? Denn dann hättest du die Wahrheit über Lennart sagen müssen …«
Sie nickte schuldbewusst.
»Aber ich verstehe es doch. Ich vergebe dir, Liebling.«
»Du hast noch nicht alles gehört.«
»Nein?«
Kiss sah zu mir auf.
»Wie man sich bettet, so liegt man«, sagte sie. »Ich hatte noch nie so großes Verlangen nach dir wie jetzt. Aber es geht nicht.«
Ich verstand, worauf sie hinauswollte. »Weil du jetzt tatsächlich deine Tage hast?«
Mit dem unglücklichsten Gesicht der Welt sah sie mich an. Ich war in der Tat auch nicht gerade begeistert. Doch nach einer Weile erkannte ich das Komische der Situation.
»Umso besser, dass ich in ein paar Stunden zur Arbeit muss«, sagte ich lachend. »Beim Gedanken an noch mehr Holzfällen wird mir übel.«
Kiss wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Es endete damit, dass sie beides gleichzeitig tat. Es war ein Anblick, den ich nie vergessen werde.
Dies ist eine der drei Erinnerungen, die mich noch immer heimsuchen. Die zweite ist die an ihre Reaktion, als ich ihr Angebot annahm, meine Ferien am Solvann zu verbringen. Sie legte ihre Wange an meine Brust und blickte verträumt in die Luft. Damals war ich sicher, dass sie uns beide für den Rest des Lebens vereint sah.
Das dritte Erinnerungsbild stammt von Kiss in dem schwarzen Chrysler.
Tot.
Mit erloschenen Augen, leichenblassem Gesicht und einem Messer in der Brust.
Eine Speed-Kippe im Römerhelm
Obwohl wir bis zum Sonnenaufgang redeten, erwähnten wir nie den Wermutspakt.
Erst im Bus auf dem Weg ins Zentrum wurde mir klar, dass die Bedingungen für seine Existenz weggefallen waren. Nachdem ich erfahren hatte, wer Lennart eigentlich gewesen war, brauchte ich mich nicht länger dafür zu schämen, dass ich ihn der Beteiligung an der Ermordung Rustads verdächtigt hatte. Nach Beendigung der Morgenkonferenz rief ich den Chefermittler der Polizei an und verabredete einen Termin.
Reidar Sveen begrüßte mich freundlich und stellte mir die junge Frau vor, die er zum Stenografieren hinzugezogen hatte. Es war nicht zu vermeiden, dass ihre Anwesenheit meine Aufgabe erschwerte. Ich hätte es
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