Der Spinnenmann
auszuhändigen?«
Darauf hatte ich keine Antwort. Ich dachte lange nach, bevor ich resigniert mit den Achseln zuckte.
Auf Sveens Stirn erschien eine kleine kummervolle Falte. »Aber Sie haben festgestellt, dass die Miniatur von geringem künstlerischen Wert ist?«
»Ja, doch sie ist alt. Gemalt um 1800 in Zentraleuropa. Sie stellt eine adlige Dame namens Eva Frank Matronita dar.«
»Und wo befindet sie sich jetzt?«
»Ich habe ein Foto des Gemäldes in der Zeitung veröffentlichen lassen. Ich hoffte, dass mir jemand Auskünfte geben könnte. Als sich niemand meldete, nahm ich die Miniatur mit nach Hause und legte sie in eine Gutenberg-Bibel. Die ist eigentlich ein Kästchen, aber von außen sieht es exakt wie eine alte Bibel aus. Verstehen Sie, was ich meine?«
Sveen nickte.
»Nun gut. Kennen Sie die Antwort auf die Frage, die uns alle beschäftigt? Warum wurde Rustads Leichnam in die Osloer Innenstadt gebracht?«
Ich grinste. »Ich glaube, ja. Als Lennart die Quittung in der Geldbörse des Toten gefunden hatte, fiel Manteuffel auf, dass sich fünfhundert Meter weiter auf einem Grundstück Arbeiter aufhielten.«
»Sie meinen die Arbeiter auf dem Arnesen-Grundstück? Ja, der Ermittlungsbeamte Andersen hat mit denen gesprochen, nachdem Sie uns den Tipp gegeben haben. Die waren an jenem Tag mit Sprengarbeiten beschäftigt, niemand hat irgendwelche Schüsse gehört. Die haben nicht einmal Rustads Wagen bemerkt.«
»Aber das konnte Manteuffel ja nicht wissen! Er nahm an, dass sie reagieren würden, und bat daher Lennart, den Ort so schnell wie möglich zu verlassen. Lennart drückte Rustads Leichnam auf den Boden und fuhr zurück in den Trondhjemsvei. Irgendwo auf dem Weg zum Grev Wedels plass stieg Manteuffel aus dem Wagen und überließ es Lennart, sich der Leiche zu entledigen. Aber Lennart konnte keinen klaren Gedanken fassen, er dachte nur daran, pünktlich zur Nachmittagsprobe im Chat Noir zu erscheinen. Wenn ihm das gelänge, so glaubte er wohl, würde niemand auf die Idee kommen, dass er etwas mit dem Mord an Rustad zu tun hätte.«
»Aber dennoch kam Herr Winther eine Dreiviertelstunde zu spät zur Probe.«
»Das stimmt.«
Sveen betrachte die Stenotypistin mit unerschütterlicher Miene. Als sie fertig war, nahm er den Bericht und legte ihn oben auf einen großen Aktenstapel.
»Ja, ja«, seufzte er. »Das war Rustad-Mörder Nr. 81.«
Es war sicher verständlich, dass Chefermittler Sveen kein Interesse an Hans von Manteuffel zeigte. Immerhin hatte er achtzig weitere Verdächtige aus dem kleinkriminellen Milieu, das den Hintergrund für den Mord an Rustad bildete: Versicherungsbetrüger, Brandstifter, Tagelöhner, Pferdetrainer und Automechaniker. Ein deutscher Schwerverbrecher mit exzentrischem Kunstgeschmack erinnerte ihn wohl doch zu sehr an einen Hintertreppenroman. Ehrlich gesagt war ich erleichtert. Ich hatte meine Pflicht getan, ohne auch nur eine einzige Seele wissen zu lassen, dass ich das Ansehen eines verstorbenen Freundes in den Schmutz gezogen hatte. Jetzt war es ausschließlich eine Sache zwischen mir und meinem Gewissen.
Im August hatte >Willkommen im Grünen< Premiere. Es wurde augenblicklich zu einem Erfolg, die Kritiker sprachen von der besten norwegischen Revue aller Zeiten. Lalla war nie besser gewesen, Aase Bye beeindruckte durch ihr Debüt im Chat Noir. Steinar Joraandstad, der aus Stockholm nach Hause geholt worden war, um Lennart zu ersetzen, glänzte in den Szenen >Funktionalistisches Elternhaus< und >Mein Ideal<. Zumindest war dies die Meinung der Rezensenten, ich selbst habe die Vorstellung nie gesehen.
Schließlich rückte der Umzug von Arbeiderbladet in die neuen Räumlichkeiten näher. Die Vorbereitungen dauerten mehrere Wochen, und neben den festen Pflichten in der Zeitung mussten alle Mitarbeiter mit anpacken, um das Archiv und die Buchhaltung im Gebäude des Folketeaters unterzubringen.
Im Oktober konnte ich endlich mein neues Ein-Personen-Büro mit eigenem Waschbecken und eigenem Garderobenschrank beziehen. Ich hatte sowohl Telefon als auch Haustelefon sowie eine versenkbare Remington-Maschine in der Schreibtischschublade. Das Büro lag in der fünften Etage, mit Blick über den Youngstorv. Nach gut und gerne dreizehn Monaten der Zwangsunterbringung in der Mollergate 12 war das, wie von der Rezeption in die Chefetage einer internationalen Firma aufzusteigen.
So oft es sich machen ließ, war ich mit Kiss zusammen.
Wir trafen uns weiterhin zweimal pro Woche in
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