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Der Spinnenmann

Der Spinnenmann

Titel: Der Spinnenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terje Emberland
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Beerdigung hier waren …«
    »Meinst du diesen mysteriösen Kerl, der es auf das Gemälde abgesehen hatte?«
    »Ja, genau. Und jetzt hat er es sich endlich unter den Nagel reißen können.«
    »Wovon redest du da?«
    Die Getränke wurden gebracht. Während wir die Gläser leerten, erzählte ich die ganze Geschichte.
    »Seit das Bild verschwunden ist, war ich ständig in Unruhe«, sagte ich abschließend. »Ich habe das Gefühl, dass etwas Schreckliches passieren wird. Und dabei denke ich an dich, weißt du? Wo du doch so ganz allein da draußen in der Ostmarka wohnst.« Sie setzte ein Lächeln auf. »Ich komme schon zurecht. Außerdem sehen wir uns ja am Donnerstag wieder.«
    Doch als ich am Donnerstag zur verabredeten Zeit am Jernbanetorv erschien, war Kiss nicht im Bus. Ich fragte den Fahrer, ob er sie gesehen habe.
    Der junge, pickelige Mann schüttelte den Kopf. »Nein, Fräulein Lorentsen hat nicht wie üblich am Trasop-Hof gewartet.«
    »Ob sie sich wohl verspätet hat?«, fragte ich hoffnungsvoll. »Oder vielleicht waren Sie etwas früher unterwegs?«
    Letzteres war ganz deutlich eine Beleidigung. Er richtete seine Mütze mit dem blanken Schirm und blickte mich selbstzufrieden an. »Ich bin niemals zu früh oder zu spät«, sagte er. »Ich halte immer den Fahrplan ein.«
    »So habe ich das nicht gemeint«, erwiderte ich. »Wann fahren Sie denn wieder zurück?«
    »In elf Minuten.«
    Ich kaufte einen Fahrschein und setzte mich ganz hinten in den Bus.
    Es wurden lange elf Minuten. Ich blickte immer wieder auf das gelbe Zifferblatt am Bahnhofsgebäude und registrierte jedes Zittern und jede Bewegung des Minutenzeigers. Es ging auf den Abend zu, und die den Jernbanetorv überquerenden Menschen hatten ihre Schritte beschleunigt. Brave Leute eilten nach Hause, um die Lichter anzuzünden, um Tanzmusik im Radio zu hören und die Dämmerung auszusperren.
    Ich dachte an Kiss. Den ganzen Herbst hatte sie da draußen am Solvann gewohnt, einsam und abgeschieden - umgeben von dichtem schwarzem Wald.
    Schließlich ließ der Fahrer den Motor an, und nachdem er mir im Rückspiegel einen Blick zugeworfen hatte, legte er den Gang ein und fuhr los. Die Fahrt in die Ostmarka kam mir vor wie eine Ewigkeit. Obwohl ich auf der ganzen Strecke der einzige Fahrgast blieb, hielt der Busfahrer an jeder Milchrampe und wartete bis zur fahrplanmäßigen Abfahrtszeit. Als ich am Trasop-Hof ausstieg, hatte ich das Gefühl, die ganze Nacht gefahren zu sein. Mit schnellen Schritten lief ich durch den Wald, der in der Dämmerung dunkel und unheilverkündend aufragte.
    Nachdem ich ein paar Meter gerannt war, stoppte ich abrupt.
    Der schwarze Chrysler stand nicht länger zwischen den Bäumen!
    Kiss konnte ihn nicht genommen haben. Nach nur fünf oder sechs Übungsfahrten mit Lennart fühlte sie sich noch nicht in der Lage, einen Wagen zu fahren. Das hatte sie mir selbst gesagt.
    Ich wurde von Panik ergriffen und eilte weiter. Der Waldweg war durch einen Regenschauer matschig geworden, meine Füße blieben kleben wie in einem Sumpf. Auch der Wald tat das Seinige, um mich aufzuhalten. Die Äste der Kiefern verfingen sich in meinem Mantel, und ich stolperte über vorwitzige Kienwurzeln.
    Endlich war ich am Landhaus angekommen und rüttelte wie ein Verrückter an der verschlossenen Haustür.
    »Kiss!«, brüllte ich. »Um Gottes Willen, Kiss! Bist du da?« Keine Antwort.
    Hilflos sank ich auf die Stufen. Plötzlich fiel mir ein, dass Kiss mir gezeigt hatte, wo sie den Ersatzschlüssel versteckte.
    Ich lief hinunter auf die Terrasse und hob eine der Steinplatten an: Tatsächlich, der Schlüssel war da.
    Nachdem ich aufgeschlossen hatte, ging ich langsam von Zimmer zu Zimmer. Nichts war verrückt oder umgestoßen worden, und nichts deutete darauf hin, dass Kiss gegen ihren Willen das Haus verlassen hatte.
    Ich inspizierte die Zimmer ein weiteres Mal. Dann entdeckte ich, dass Mantel und Schuhe im Garderobenschrank fehlten, die Wäscheschubladen waren geleert und das Schminktäschchen im Badezimmer war verschwunden.
    Es sah so aus, als wäre Kiss ganz einfach und völlig unspektakulär ausgezogen.
    Das beruhigte mich, jedoch nicht sehr. Ich schloss das Drachenhaus ab, legte den Ersatzschlüssel zurück und lief hinunter zum See. Mir war eine Idee gekommen.
    Die Sonne war fast hinter den Hügeln im Westen verschwunden, und das Himmelsgewölbe wurde von oben dunkel eingefärbt wie von herabsinkendem Ruß. Die Wasseroberfläche fing die letzten

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