Der Spinnenmann
mit einer gewissen Schwerfälligkeit vom Stuhl und kam über den Fußboden geschwankt.
»Verdammt, Tafjord!«, rief er. »Was hat das zu bedeuten?«
Ich erwiderte nichts. Ich war viel zu gespannt, wie Manteuffel reagieren würde. Anscheinend nahm der den Auftritt mit völliger Ruhe. Er sah mich an, ohne eine Miene zu verziehen, und drehte sich schon wieder weg, bevor es Riisnaes gelungen war, mich wieder auf den Korridor zu scheuchen.
»Das ist eine Privatveranstaltung«, sagte er und schloss die Tür hinter sich. »Sie können nicht einfach so hereinstürmen. Verstanden, Tafjord?«
»Erfjord«, sagte ich.
»Was?«
»Ich heiße Erfjord, nicht Tafjord. Und ich benötige polizeiliche Hilfe …«
Riisnaes stieß mich in Richtung Ausgang. Ich spürte, dass er anfing, sauer zu werden.
»Hören Sie nicht, was ich sage? Die Sache ist ernst. Eine junge Dame ist verschwunden!«
»Verschwunden? Ja, darum werden wir uns natürlich kümmern. Aber Sie müssen den üblichen Vorschriften folgen und sich beim Wachhabenden melden.«
Resolut fasste er meinen Arm, aber ich wehrte mich.
»Sie haben noch nicht die ganze Geschichte gehört. Ich bin sicher, dass dieser Manteuffel etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hat!«
»Wer, sagen Sie?«
»Der, mit dem Sie und Sveen da drinnen sitzen und sich unterhalten!«
Riisnaes blieb wie angewurzelt stehen. Sein Gesicht war vor Wut dunkelrot angelaufen.
»Seien Sie bloß vorsichtig, wenn Sie über die Gäste der Osloer Polizei sprechen«, fauchte er. »Dieser Mann ist ein hoher Polizeibeamter des Deutschen Reichs.«
Dann brüllte er hysterisch. »Haben Sie verstanden?!«
Ich war sprachlos. Riisnaes wollte mich weiterschieben, aber ich riss mich los.
»In Ordnung«, sagte ich. »Ich gehe freiwillig.«
Ich ging auf den Ausgang zu, blieb aber nach ein paar Schritten stehen.
»Ja, tatsächlich glaube ich, Sie langsam zu verstehen, Herr Riisnaes. Anscheinend kennt die Deutschenfreundlichkeit der Polizei keine Grenzen. Ganz und gar nicht. Sie sind bereit, ihre Hände sogar über den schlimmsten Abschaum zu halten, den es dort unten gibt!«
Ich hatte nicht den Eindruck, dass er meine Worte mitbekommen hatte. Er stand da und blickte mir mit verschwommenen Augen nach, bis ich außer Sichtweite war.
Ich verließ Nr. 19, ohne eine Vermisstenmeldung abzugeben. Das hatte keinen Zweck, wenn der vermeintliche Entführer im Raum nebenan saß und dem Chefermittler zuprostete. Jetzt begriff ich auch, wieso Sveen so wenig Interesse an meinen Informationen über Manteuffel gezeigt hatte. Selbstverständlich kam es nicht in Frage, einen hohen deutschen Polizeioffizier zu verhaften, nur weil er einen unbedeutenden Schrotthändler erschossen hatte. Viel wichtiger war es, das gute Verhältnis zu den Kollegen in der Internationalen Kriminalpolizeikommission aufrechtzuerhalten.
Während der nächsten Tage tat ich alles Erdenkliche, um Kiss aufzuspüren. Keiner ihrer Bekannten am Theater hatte sie gesehen. Auch nicht die Kellner in ihren Stammlokalen. Das Einzige, was mir ansonsten einfiel, war, die Krankenhäuser in Oslo und Akershus anzurufen. Doch auch das führte zu keinem Ergebnis. Sie war spurlos verschwunden.
Eines Tages, nachdem wir in der Zeitung fertig geworden waren, lud mich Mr. George zum Abendessen ein. Ich hatte gleich das Gefühl, dass er etwas Besonderes auf dem Herzen hatte. Mein Verdacht erhärtete sich, als er vorschlug, wir sollten uns in die >Sakristei< in Häkonsens Restaurant setzen, den Teil des Lokals, der durch zwei Stufen erhöht von der >Kirche< abgetrennt ist. Wegen der Stufen diente die >Sakristei< gemäß der Auslegung der Behörden als Speisesaal, was den Ausschank von Branntwein ermöglichte. Außerdem waren die Tische mit Tischdecken geschmückt und verfügten über Trennwände, sodass sich die Gäste unterhalten konnten, ohne im ganzen Lokal gehört zu werden.
Als der Kellner kam, bestellte Mr. George zwei Beefsteaks mit Zwiebeln, bevor ich überhaupt Gelegenheit bekam, einen Blick in die Speisekarte zu werfen. Nachdem er noch Bier und Aquavit für uns beide geordert und danach verkündet hatte, sich der Rechnung annehmen zu wollen, hatte ich keine Zweifel mehr. Das Ganze war als Geschäftsessen zu verstehen.
Mr. George kam gleich zur Sache. »Ich habe mit Helgesen gesprochen«, sagte er. »Er hat den Eindruck, dass du dich in der Sportredaktion nicht so ganz eingelebt hast. Stimmt das?«
Ich musste zugeben, dass ich nicht so recht wusste, worauf ich mich in
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