Der Spion, der aus der Kälte kam
nachträglich durch sein auffallendes Fortbleiben gerechtfertigt worden war. Einmal war Liz in seinem Zimmer gewesen und hatte den Vermieter gesprochen. Sie konnte nicht genau sagen, warum sie das tat, aber sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und ging hin. Der Vermieter sprach sehr nett von Alec; Mr. Leamas hatte seine Miete wie ein Gentleman bezahlt. Und ein Restbetrag, für die beiden letzten Wochen, war von einem Freund von Mr. Leamas großzügig und ohne weitere Fragen beglichen worden.
Er hatte es immer schon gesagt und würde es auch in Zukunft stets sagen: Mr. Leamas war ein Gentleman. Keine Public-School, wohlgemerkt, nicht dies affige Gehabe, aber ein echter Gentleman. Er sah ja manchmal ziemlich gereizt aus, und er trank auch mehr, als er vertragen konnte - freilich benahm er sich nie daneben, wenn er besoffen nach Hause kam. Aber dieser kleine Kerl, der herkam - übrigens ein komischer, schüchterner Mensch mit Brille -, hatte extra betont, dass Mr. Leamas es war, der ihn gebeten habe, die Mietschuld zu begleichen. Wenn das nicht vornehm war, dann wollte der Vermieter verdammt sein. Der Himmel mochte wissen, woher Leamas das Geld hatte: ein undurchsichtiger Mann, ohne Zweifel. Aber mit Ford, dem Lebensmittelhändler hatte er nur das gemacht, was seit dem Krieg schon eine ganze Menge Leute gern mit ihm gemacht hätte. Die Wohnung? Ja, die Wohnung war schon wieder vermietet - an einen Herrn aus Korea, zwei Tage, nachdem sie Mr. Leamas geholt hatten.
Wahrscheinlich ging Liz nur deshalb weiterhin in die Bibliothek zur Arbeit - weil er wenigstens dort noch existierte: er hatte die Leitern, die Regale, die Bücher, den Kartenindex gekannt und berührt, und zu ihnen mochte er eines Tages vielleicht zurückkehren. Er hatte gesagt, er werde nie mehr zurückkommen, aber das wollte sie nicht glauben. Es hätte bedeutet, jede Hoffnung aufzugeben, dass es eines Tages doch noch eine Wende zum Besseren geben könnte. Miß Crail glaubte sicher, dass er zurückkommen werde: sie hatte entdeckt, dass sie ihm etwas zuwenig Gehalt ausbezahlt hatte, und es machte sie wütend, dass dieses Ungeheuer darauf verzichtete, sich den Rest des Geldes abzuholen. Nachdem Leamas verschwunden war, stellte sich Liz immer wieder die Frage, weshalb er Mr. Ford geschlagen hatte? Sie wußte, dass er schrecklich jähzornig war, aber das hatte mit dieser Geschichte nichts zu tun. Er hatte von Anfang an geplant gehabt, Ford niederzuschlagen, sobald er sein Fieber los war. Warum hätte er sonst in der vorausgehenden Nacht von Abschied geredet? Da mußte er schon gewußt haben, dass er am folgenden Tag Mr. Ford schlagen würde. Die einzige andere mögliche Erklärung wollte sie vor sich selbst nicht gelten lassen: dass er nämlich ihrer überdrüssig geworden war, ihr deshalb die Trennung vorgeschlagen, und dann am nächsten Tag, als er noch unter der Gefühlsbelastung dieses Abschieds stand, seine Beherrschung verloren und Mr. Ford geschlagen hatte. Sie war niemals in der Zeit ihrer Bekanntschaft das Gefühl losgeworden, dass Alec eine bestimmte Aufgabe ausführen mußte. Er selbst hatte es ihr ja einmal gesagt. Sie konnte freilich nur Vermutungen darüber anstellen, was das sein mochte.
Zuerst dachte sie, er könne einen Streit mit Mr. Ford gehabt haben oder einen Jahre zurückreichenden, tief verwurzelten Haß. Vielleicht hing es mit einem Mädchen zusammen oder mit Alecs Familie. Aber es genügte, Mister Ford einmal nur anzusehen, um diese Erklärung lächerlich zu finden. Er war das Urbild eines Spießers: vorsichtig, selbstgefällig. Aber selbst wenn eine Art Blutrache zwischen Alec und Mr. Ford bestanden hätte, wäre es von Alec doch töricht gewesen, ihn im Gedränge des Samstagvormittags in seinem Laden anzugreifen, wo jedermann zusehen konnte.
Man hatte sich über den Fall bei einer Sitzung ihrer Parteiorganisation unterhalten. George Hanby, der Kassierer, war gerade an dem Laden vorbeigekommen, als es geschah. Er hatte der vielen Menschen wegen nicht viel sehen können, aber ein Augenzeuge des Vorfalls hatte ihm alles erzählt, und Hanby war davon so beeindruckt gewesen, dass er den Worker anrief, der daraufhin einen Reporter zur Gerichtsverhandlung geschickt hatte. So kam es, dass der Worker die Angelegenheit in seinem Lokalteil breittrat.
Der Worker erläuterte den Fall als eindeutigen Protest, als Äußerung eines plötzlich erwachten Klassenbewußtseins und als Ausbruch von Haß gegen die Ausbeuterklasse. Hanbys Gewährsmann, ein
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