Der Spion, der aus der Kälte kam
sein müssen.« Leamas stand auf, ging zur Anrichte und goß sich einen Whisky ein. Er fragte nicht, ob es Peters recht war.
»Sie sagten selbst, dass man in diesem Fall besondere Vorsichtsmaßnahmen und eigene Verfahrensweisen entwickelt hatte. Vielleicht war man der Meinung, dass Sie nichts davon zu wissen brauchten.«
»Seien Sie nicht albern«, gab Leamas zurück. »Selbstverständlich hätte ich davon gewußt.« An dieser Auffassung würde er um jeden Preis festhalten. Das gab ihnen das Gefühl, besser Bescheid zu wissen als er, und ließ seine übrigen Informationen glaubwürdiger erscheinen. »Man wird drüben trotz Ihrer Aussagen eigene Schlüsse ziehen wollen«, hatte der Chef gesagt. »Wir müssen den Leuten das Material geben und gleichzeitig gegenüber den daraus gezogenen Schlußfolgerungen skeptisch bleiben. Auf die Intelligenz dieser Leute und ihre Eitelkeit, auf den Argwohn, den sie gegeneinander haben - das ist es, worauf wir uns verlassen müssen.«
Peters nickte, als wolle er eine betrübliche Wahrheit bestätigen. »Sie sind ein stolzer Mann, Leamas«, sagte er abermals.
Bald danach ging Peters. Er wünschte Leamas einen guten Tag und spazierte die Strandpromenade hinunter. Es war Mittagszeit.
10DER DRITTE TAG
An diesem Nachmittag erschien Peters nicht mehr, auch nicht am nächsten Morgen. Leamas blieb im Haus und wartete mit wachsender Unruhe auf eine Nachricht. Aber es kam keine. Er fragte die dicke Haushälterin, aber sie lächelte nur und zuckte mit den Achseln. Ungefähr um elf Uhr am nächsten Morgen entschloß er sich, einen Spaziergang am Strand zu machen. Er kaufte Zigaretten und starrte verdrossen auf die See hinaus.
Ein Mädchen am Strand warf den Möwen Brot hin. Sie drehte ihm den Rücken zu. Der vom Meer herwehende Wind spielte mit ihrem langen schwarzen Haar, blähte ihren Mantel und ließ ihren Körper als einen Bogen erscheinen, der sich der See entgegenneigte. Da wurde ihm bewußt, was ihm Liz gegeben hatte: etwas, um dessentwillen er zurückkommen mußte, sollte er je wieder nach England heimkehren. Es war die Liebe zu den kleinen Dingen - der Glaube an das alltägliche Leben. Einfach etwas Brot in kleine Stücke brechen, es in einer Papiertüte an den Strand hinunternehmen, um es an die Möwen zu verfüttern. Es war seine Sehnsucht, einmal jene Nebensächlichkeiten tun zu dürfen, die ihm bisher verwehrt gewesen waren, was auch immer es betraf: Brot für die Möwen oder Liebe. Er würde heimkehren und es finden; er würde Liz es für ihn finden lassen: in ein, zwei Wochen vielleicht konnte er schon wieder daheim sein. Der Chef hatte gesagt, dass er alles behalten könne, was man ihm hier zahlen würde - und das würde genügen. Mit fünfzehntausend Pfund, einer Abfindung und der Pension vom Rondell konnte es sich ein Mann leisten, aus der Kälte hereinzukommen, wie der Chef das zu nennen pflegte.
Er machte einen Umweg und kam Viertel vor zwölf zum Bungalow zurück. Die Frau ließ ihn wortlos ein, aber er hörte, dass sie den Telefonhörer abnahm und eine Nummer wählte, sobald er in das Zimmer gegangen war. Sie sprach nur einige Sekunden. Um halb eins brachte sie ihm das Mittagessen und, zu seiner Freude, einige englische Zeitungen, in die er sich zufrieden bis drei Uhr vertiefte. Bücher las Leamas normalerweise nie, aber Zeitungen studierte er immer langsam und sorgfältig. Er behielt viele Einzelheiten im Gedächtnis, wie Namen und Adressen von Menschen, die in irgendeiner kleinen Meldung einmal erwähnt worden waren. Er prägte sich solche Dinge fast unbewußt ein, als sei es eine Art privates Gedächtnistraining, und es nahm ihn vollkommen in Anspruch.
Um drei Uhr kam Peters. Sobald Leamas ihn sah, wußte er, dass irgend etwas los war. Sie setzten sich nicht an den Tisch; Peters zog nicht einmal seinen Regenmantel aus.
»Ich habe schlechte Nachrichten für Sie«, sagte er. »Sie werden in England gesucht. Ich hörte es heute morgen. Die Häfen werden beobachtet.«
Leamas fragte unbeteiligt: »Mit welcher Begründung?«
»Sie hätten sich nach der Gefängnishaft nicht innerhalb der vorgeschriebenen Zeit bei der Polizei gemeldet.«
»Und in Wirklichkeit?«
»Es wird gemunkelt, dass Sie gegen das Gesetz über den Schutz von Staatsgeheimnissen verstoßen hätten. Ihr Foto ist in allen Londoner Abendblättern. Die Bildunterschriften sagen nicht viel aus.«
Leamas stand ganz still. Das hatte der Chef veranlaßt. Der Chef hatte diese Hetzjagd angekurbelt. Es gab
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