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Der Spion, der aus der Kälte kam

Titel: Der Spion, der aus der Kälte kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Natürlich - das war die Erklärung. Plötzlich durchströmte sie ein Gefühl der Wärme und Dankbarkeit. Es waren wirklich anständige Menschen, und sie war stolz und dankbar, dieser Partei angehören zu dürfen. Sie ging zum Schreibtisch und öffnete eine Schublade, wo sie in einem alten Schulranzen das Briefpapier ihrer Ortsgruppe und die Briefmarken aufbewahrte. Sie spannte ein Blatt in ihre alte Schreibmaschine, die der Distrikt geschickt hatte, weil sie tippen konnte. Die Buchstaben sprangen manchmal, aber sonst war die Maschine in Ordnung. Liz schrieb einen netten, dankbaren Brief, in dem sie die Einladung annahm. Die Zentrale war großartig: streng, wohltätig, unpersönlich, ewig. Es waren gute Menschen. Menschen, die für den Frieden kämpften. Als sie das Schubfach schloß, erblickte sie Smileys Karte.
    Es fiel ihr wieder ein, wie der kleine Mann mit dem ernsten, faltigen Gesicht in der Tür ihres Zimmers gestanden und gefragt hatte: »Wußte die Partei von Ihnen und Alec?« Wie dumm sie gewesen war. Nun, diese Reise würde sie auf andere Gedanken bringen.

12OSTWÄRTS 
    Leamas öffnete seinen Sicherheitsgurt.
    Angeblich erleben Todeskandidaten plötzliche Zustände eines übersteigerten Glücksgefühls, vielleicht wie Motten es in der Kerzenflamme erleben: als erreichten sie durch ihre Vernichtung ein langersehntes Ziel. Nachdem Leamas sich entschieden hatte, erfüllte ihn eine Empfindung, die fast dem Gefühl der Erleichterung glich. Es währte nicht lange, gab ihm aber Trost und hielt ihn für eine Zeitlang aufrecht. Furcht und Hunger folgten darauf.
    Der Chef hatte recht: Er ließ nach.
    Das war ihm während des Falls Riemeck zum erstenmal am Anfang des letzten Jahres bewußt geworden. Karl hatte ihm die Nachricht zukommen lassen, dass er etwas Besonderes für ihn habe und einen seiner seltenen Besuche in Westdeutschland mache; er fahre zu einer juristischen Konferenz in Karlsruhe. Leamas war es gelungen, eine Flugkarte nach Köln zu bekommen, und er mietete dort auf dem Flugplatz einen Wagen. Es war noch ziemlich früh am Morgen, und er hatte gehofft, dem größten Teil des Autobahnverkehrs nach Karlsruhe entgehen zu können, aber die schweren Lastwagen waren schon unterwegs. In der ersten halben Stunde gelang es ihm, siebzig Kilometer hinter sich zu bringen, indem er sich waghalsig durch den Verkehr wand. Er wollte rechtzeitig in Karlsruhe sein. Plötzlich begann, nur fünfzehn Meter vor ihm, ein kleiner Wagen, wahrscheinlich ein Fiat, aus der Kolonne in die Überholspur herüberzuziehen. Leamas trat auf die Bremse, blendete voll auf und hupte. Mit Gottes Hilfe kam er noch um Bruchteile einer Sekunde an ihm vorbei. Während er den Wagen überholte, sah er gerade noch vier Kinder, die winkend und lachend auf dem Rücksitz saßen, und das dumme Gesicht ihres erschrockenen Vaters. Fluchend fuhr er weiter, und plötzlich geschah es: plötzlich zitterten seine Hände wie im Fieber, sein Gesicht glühte, sein Herz klopfte wild. Er bog auf einen Rastplatz ein. Er kletterte aus dem Wagen und starrte schwer atmend auf den vorbeidonnernden Strom riesiger Uberlandtransporter. Im Geist sah er das kleine Auto zwischen den Kolossen gefangen, die es zusammenpreßten und zerquetschten, bis nichts übrigblieb als das wilde Wimmern der Autohupen und die blauen Blitze der Polizeilichter, und die Körper der Kinder, ebenso zerfetzt wie die Leichen der ermordeten Flüchtlinge auf der Straße durch die Dünen.
    Den Rest des Weges fuhr er sehr langsam. Er verpaßte die Verabredung mit Karl. Er fuhr nie wieder Auto, ohne dass ihm die zerzausten, winkenden Kinder auf dem Rücksitz jenes Wagens einfielen, und ihr Vater, der das Lenkrad umklammerte wie ein Bauer den Griff seines Pfluges.
    Der Chef hätte es Fieber genannt.
    Verdrossen saß er in seinem Sitz an der Tragfläche.
    Neben ihm war eine Amerikanerin, deren hochhackige Schuhe in Nylonhüllen steckten. Er hatte die flüchtige Idee, er könne ihr irgendeine Nachricht für die Leute in Berlin mitgeben, verwarf diesen Gedanken aber sofort wieder. Sie würde meinen, er mache einen Annäherungsversuch, und Peters würde es bemerken. Außerdem war es sinnlos. Der Chef wußte, was geschehen war; der Chef hatte es veranlaßt; es gab nichts mitzuteilen. Er fragte sich, was nun mit ihm geschehen werde.
    Der Chef hatte nicht davon gesprochen, nur von der anzuwendenden Technik: »Erzählen Sie ihnen nicht alles auf einmal. Man soll es mühsam aus Ihnen herausziehen. Verwirren Sie

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