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Der Spion, der aus der Kälte kam

Titel: Der Spion, der aus der Kälte kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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nicht danach aussah, als komme er von der Zentrale. Aber er war vom Kulturleiter unterzeichnet. Es war seine Unterschrift, kein Zweifel daran. Sie hatte sie oft genug auf vervielfältigten Rundschreiben gesehen. Und der Brief hatte diesen ungeschickten, halb bürokratischen, halb messianischen Stil, an den sie sich gewöhnt hatte, ohne ihn freilich zu mögen. Es war eine törichte Behauptung, dass sie Erfahrungen in der Leitung von Massenaktionen besitze. Sie besaß sie nicht. In Wirklichkeit haßte sie diese Sorte von Parteiarbeit: die Lautsprecher an den Fabriktoren, den Verkauf des Daily Worker an den Straßenecken, die Lauferei von Tür zu Tür während des Wahlkampfes. Gegen die Arbeit für den Frieden hatte sie nicht soviel einzuwenden, denn das bedeutete ihr etwas, und es hatte Sinn. Wenn man auf der Straße ging, brauchte man nur die kleinen Kinder zu sehen, die Mütter mit ihren Kinderwagen, die alten Leute vor den Haustüren, und man konnte sich sagen: »Ich tue es für sie.« Das hieß wirklich für den Frieden kämpfen.
    Den Kampf um Wählerstimmen und größeren Absatz der Zeitung hatte sie noch nie in dieser Weise betrachten können. Es lag vielleicht daran, dachte sie, dass es so ernüchternd war. Es war so leicht, die Welt neu aufzubauen, in der Vorhut des Sozialismus zu marschieren und von dem unvermeidlichen Lauf der Geschichte zu sprechen, wenn man zu zehnt oder so bei einem Gruppentreffen beisammensaß. Aber anschließend mußte man mit einem Arm voll Daily Worker auf die Straße gehen und ein, zwei Stunden warten, ehe eine Nummer verkauft war. Manchmal mogelte sie, ebenso wie die anderen, und zahlte für ein halbes Dutzend Zeitungen aus eigener Tasche, nur um sie loszuwerden und nach Hause zu kommen. Beim nächsten Treffen brüsteten sie sich dann mit ihren Verkaufserfolgen. Sie vergaßen einfach, dass sie die Zeitungen selbst gekauft hatten. »Genossin Gold am Samstag achtzehn verkauft - achtzehn!« Es wurde im Protokoll vermerkt und kam ins Bulletin der Gruppe. Beim Distrikt rieb man sich die Hände, und Liz wurde vielleicht auf der ersten Seite des Bulletins in der kleinen Spalte über den Kampffonds erwähnt. Es war eine so kleine Welt, und Liz wünschte, dass man hätte ehrlicher sein können. Aber sie belog sich ja auch selbst über alles. Vielleicht machten es alle so. Oder vielleicht verstanden die anderen besser, warum man soviel lügen mußte. Es war schon so merkwürdig, wie man sie zur Sekretärin der Gruppe gemacht hatte. Mulligan hatte sie vorgeschlagen: »Unsere junge, energische und außerdem attraktive Genossin …« Er hatte geglaubt, sie werde mit ihm schlafen, wenn er ihr zum Posten der Gruppensekretärin verhalf. Die anderen hatten sie dann gewählt, weil man sie gut leiden mochte, und weil sie maschineschreiben konnte. Man nahm an, sie werde die Arbeit tun und nicht versuchen, einen an den Wochenenden auf Stimmen-Werbung zu schicken. Nicht zu oft, auf jeden Fall. Man wählte sie, weil alle einen annehmbaren kleinen Klub haben wollten, nett und revolutionär, mit nicht allzuviel Wirbel. Es war alles so ein Schwindel. Alec schien das verstanden zu haben: er hatte es nicht ernst genommen. »Manche halten Kanarienvögel, andere treten der Partei bei«, hatte er einmal gesagt. Und das war die Wahrheit. Auf jeden Fall in Bayswater-Süd, und der Distrikt wußte das genau. Aus diesem Grund war es seltsam, dass man sie ausgewählt hatte, und deshalb konnte sie eigentlich nicht glauben, dass der Distrikt auch nur etwas damit zu tun haben sollte. Sicherlich war Ashe des Rätsels Lösung. Womöglich war er gar nicht schwul, sondern sah nur so aus.
    Liz zuckte etwas übertrieben mit den Achseln, wie es Menschen manchmal tun, wenn sie aufgeregt und allein sind. Es war Ausland, kostenlos, und schien interessant. Sie war noch nie im Ausland, und aus eigener Tasche hätte sie die Reisekosten nicht aufbringen können. Es würde Spaß machen. Sie hatte in Bezug auf Deutschland allerdings Vorbehalte. Sie hatte oft gehört, dass Westdeutschland militaristisch und revanchistisch, Ostdeutschland aber demokratisch und friedliebend sei. Sie bezweifelte jedoch, dass alle guten Deutschen auf der einen Seite und alle schlechten auf der anderen leben sollten. Und die schlechten hatten ihren Vater umgebracht. Vielleicht war sie deshalb von der Partei ausgesucht worden, gewissermaßen als großzügiger Akt der Versöhnung. Möglicherweise hatte Ashe schon daran gedacht, als er ihr diese Fragen stellte.

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