Der Spion, der aus der Kälte kam
folgenden Wagen zu entgehen. Er würde frei sein - es gab Menschen in Berlin, die sich seiner annehmen würden -, er wäre dem allen entronnen.
Er tat nichts.
Es war so leicht, die Sektorengrenze zu überschreiten. Leamas hatte nicht erwartet, dass es derart mühelos sein würde. Etwa zehn Minuten bummelten sie dahin, so dass Leamas zu dem Schluß kam, der Übergang sei für einen bestimmten Zeitpunkt verabredet worden. Als sie sich dem westdeutschen Kontrollpunkt näherten, fuhr der DKW vor und überholte sie mit dem aufdringlichen Lärm eines überdrehten Motors. Er hielt an der Polizeibaracke. Der Mercedes wartete zehn Meter dahinter. Zwei Minuten später hob sich der rot-weiße Schlagbaum, um den DKW durchzulassen, und als die Schranke offen war, fuhren beide Wagen zusammen hinüber: der Mercedesmotor heulte im zweiten Gang auf, und der Fahrer drückte sich tief in seinen Sitz, so dass er das Steuer nur mit ausgestreckten Armen halten konnte.
Als sie die zwanzig Meter zurückgelegt hatten, die die zwei Kontrollpunkte voneinander trennten, konnte Leamas undeutlich die neuen Befestigungen auf der Ostseite der Mauer erkennen - spanische Reiter, Beobachtungstürme und einen doppelten Stacheldrahtzaun. Die Lage hatte sich verschärft.
Der Mercedes mußte am ostzonalen Kontrollpunkt nicht halten, die Schlagbäume waren schon hochgezogen, und sie fuhren geradewegs durch. Die Vopos beobachteten sie nur durch Feldstecher. Der DKW war verschwunden, und als er zehn Minuten später wieder auftauchte, war er hinter ihnen. Sie fuhren jetzt schnell - Leamas hatte gedacht, sie würden in Ostberlin halten, vielleicht den Wagen wechseln, und sich gegenseitig zu einer gelungenen Operation gratulieren, aber sie durchquerten die Stadt in östlicher Richtung.
»Wohin fahren wir?« fragte er Peters.
»Wir sind schon da. Die Deutsche Demokratische Republik. Für Ihre Unterkunft ist gesorgt worden.«
»Ich dachte, wir würden weiter nach Osten fahren.«
»Das werden wir auch. Zuerst bleiben wir aber einen oder zwei Tage hier. Wir waren der Ansicht, die Deutschen sollten Gelegenheit zu einer Unterredung mit Ihnen haben.«
»Ich verstehe.«
»Schließlich hat sich der Großteil Ihrer Arbeit mit Deutschland beschäftigt. Ich habe deshalb Einzelheiten Ihrer Aussage hierhergeschickt.«
»Und man wollte mich sprechen?«
»Man hat hier noch nie jemanden wie Sie gehabt, niemanden so … nahe an der Quelle. Meine Leute waren einverstanden, dass man hier die Gelegenheit haben sollte, mit Ihnen zusammenzutreffen.«
»Und dann? Wohin fahren wir von Deutschland aus?«
»Weiter nach Osten.«
»Wen von den Deutschen werde ich treffen?«
»Spielt das eine Rolle?«
»Kaum. Ich kenne dem Namen nach die meisten aus der Abteilung, und es hätte mich nur so interessiert.«
»Wen würden Sie erwarten?«
»Fiedler«, antwortete Leamas prompt, »stellvertretender Leiter des Sicherheitsdienstes. Mundts Mann. Er macht alle großen Verhöre. Er ist ein Saukerl.«
»Warum?«
»Ein brutaler kleiner Saukerl. Ich habe von ihm gehört. Als er einen Agenten Peter Guillams fing, brachte er ihn fast um.«
»Spionage ist kein Kricketmatch«, bemerkte Peters mürrisch.
Danach verfielen sie wieder in Schweigen. Es ist also Fiedler, dachte Leamas.
Leamas wußte über Fiedler recht gut Bescheid. Er kannte ihn von den Fotografien im Akt und von den Berichten seiner früheren Untergebenen. Ein schlanker, adretter Mann, ziemlich jung, glattgesichtig. Dunkles Haar, große braune Augen: intelligent und brutal, wie Leamas gesagt hatte. Der geschmeidige, schnelle Körper wurde von einem geduldigen, zurückhaltenden Charakter beherrscht. Ein Mann, der scheinbar für sich selbst keinen Ehrgeiz kannte, der aber rücksichtslos in der Vernichtung anderer war. Fiedler stellte in der »Abteilung« eine Ausnahme dar, denn er beteiligte sich nicht an den dort üblichen Intrigen und schien es zufrieden zu sein, ohne Aussicht auf Beförderung im Schatten Mundts zu leben. Er konnte nicht als Mitglied dieser oder jener Clique bezeichnet werden; selbst einstige Mitarbeiter von ihm konnten nicht sagen, wo er seinen Standort innerhalb des Machtgefüges der »Abteilung« hatte. Fiedler war ein Einzelgänger - gefürchtet, unbeliebt und beargwöhnt. Welche Motive er auch haben mochte, er verbarg sie unter einem Mantel von zersetzendem Sarkasmus.
»Fiedler ist unser bestes Pferd«, hatte der Chef erklärt, als er mit Leamas und Peter Guillam in dem düsteren kleinen
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