Der Spion, der aus der Kälte kam
und die Läden vor den Fenstern waren geschlossen. Er hatte die Verbindungstür vom Haus her offengelassen, so dass von der Diele her schwaches Zwielicht in den Schlafraum der Posten fiel, aber es war zu finster, um mehr als die Umrisse der zwei leeren Betten zu sehen. Während er sich im Zimmer überrascht umschaute, weil niemand da war, fiel die Tür hinter ihm zu. Vielleicht von selbst, aber Leamas machte keinen Versuch, sie wieder zu öffnen. Es war stockfinster. Kein Laut begleitete das Schließen der Tür, kein Klicken, kein Schritt. Leamas, dessen Sinne plötzlich hellwach geworden waren, hatte das gleiche Gefühl wie im Kino, wenn der Ton überraschend ausfällt. Dann roch er die Zigarre, ihr Rauch mußte in der Luft gehangen haben, aber erst jetzt bemerkte er ihn. Wie bei einem Blinden schärfte die Dunkelheit seinen Tast- und Geruchssinn.
Er hatte Streichhölzer in seiner Tasche, aber er benutzte sie nicht. Er schlich zur Wand, gegen die er seinen Rücken preßte, während er bewegungslos wartete. Leamas konnte sich das alles nur so erklären, dass sie ihn in seinem eigenen Zimmer erwarteten, und er entschloß sich deshalb zu bleiben, wo er war. Die Tür, die sich gerade geschlossen hatte, wurde geprüft, das Schloß herumgedreht und versperrt. Noch immer bewegte sich Leamas nicht. Noch nicht. Kein Zweifel: er war in der Hütte gefangen. Sehr langsam hockte sich Leamas jetzt nieder und steckte zugleich eine Hand in die Seitentasche seiner Jacke. Er war ganz ruhig. Die Aussicht auf Aktivität erleichterte ihn fast. Erinnerungen kamen ihm in den Sinn. »Sie haben fast immer eine Waffe: einen Aschenbecher, ein paar Geldstücke, einen Füllfederhalter - alles, was schlägt und sticht.« Es war der Lieblingsspruch des freundlichen kleinen Waliser Feldwebels in jenem Haus bei Oxford, während des Krieges. »Gebrauchen Sie nie beide Hände zugleich, weder bei einem Messer, einem Stock, noch einem Revolver. Lassen Sie Ihren linken Arm frei und halten Sie ihn vor den Leib. Wenn Sie nichts zum Schlagen haben, dann halten Sie Ihre Hände offen und die Daumen steif.« Er nahm die Schachtel Streichhölzer der Länge nach in die rechte Hand und zerdrückte sie langsam, so dass die kleinen rauhen Kanten des Schachtelholzes ihm zwischen den Fingern herausschauten. Dann tastete er sich an der Wand bis zu dem Stuhl, der - wie er wußte - in der Ecke des Raumes stand. Ohne auf den Lärm Rücksicht zu nehmen, den er dabei machte, schob er den Stuhl in die Mitte des Zimmers. Er zählte seine Schritte, während er vom Stuhl in die Ecke zurückschlich. Noch ehe er sie erreicht hatte, hörte er, wie die Tür seines Schlafzimmers aufgestoßen wurde. Er versuchte vergeblich, in der Dunkelheit zu erkennen, ob eine Gestalt in der Tür stand, die Finsternis war undurchdringlich. Noch riskierte er keinen Angriff, denn es war sein taktischer Vorteil, dass er, im Gegensatz zu dem anderen, wußte, wo der Stuhl stand. Er wünschte sehr, dass sie jetzt kamen, um ihn zu holen, denn er konnte nicht warten, bis ihr Helfer draußen den Hauptschalter erreicht und das Licht eingeschaltet hatte.
»Los doch, ihr mistigen Hunde«, rief er auf deutsch. »Hier bin ich, in der Ecke. Kommt und holt mich, wenn ihr könnt.«
Keine Bewegung, nicht ein Laut.
»Hier bin ich, könnt ihr mich nicht sehen? Was ist denn los mit euch, Kinder, kommt her, könnt ihr nicht?« Und dann hörte er jemanden kommen, dahinter einen zweiten, und dann den Fluch eines Mannes, der an den Stuhl stieß. Das war das Zeichen, auf das Leamas gewartet hatte. Er warf die Streichholzschachtel weg und tappte vorsichtig Schritt für Schritt vorwärts, wobei er seinen linken Arm ausgestreckt hielt, als schütze er sich im Wald vor zurückschnellenden Zweigen. Er stieß schließlich sacht an einen Arm und er fühlte die rauhe Wärme von Uniformstoff. Mit der linken Hand tupfte Leamas zweimal auf den Arm, und er hörte dicht an seinem Ohr eine erschrockene Stimme in deutscher Sprache flüstern: »Bist du das, Hans?«
»Hält's Maul, du Esel«, flüsterte Leamas, gleichzeitig packte er den Mann an seinen Haaren und zerrte dessen Kopf nach unten, während er ihm mit der Kante der rechten Hand einen wuchtigen Hieb in den Nacken versetzte. Er zerrte ihn am Arm nochmals hoch und schlug ihm seine Faust an die Kehle. Dann überließ er den Körper der Schwerkraft, die ihn auf den Boden zog. Gleichzeitig mit dem Aufschlag des Körpers ging das Licht an. In der Tür stand ein Zigarre
Weitere Kostenlose Bücher