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Der Spion der Fugger Historischer Roman

Der Spion der Fugger Historischer Roman

Titel: Der Spion der Fugger Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Kessing
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konnte der Fugger-Agent seine Bewunderung nicht verhehlen und riss den Blick von dem Kompass los, um das Astrolabium in seinen Händen genauer zu betrachten. Es war voller eingravierter Skalen, Linien und magischen Formeln. Amman Sachs erblickte ins Messing gearbeitete Formen, die wie Flügel von Engeln aussahen, deren Bedeutung er jedoch nicht kannte. An der Mittelachse des Astrolabiums, die man offensichtlich lösen konnte, um Skalen auszutauschen, waren Zeiger angebracht, von denen Sachs nicht wusste, was sie anzeigten. Überhaupt war die Verwendung des Astrolabiums ihm stets ein Geheimnis gewesen, obgleich er schon in der Kindheit seinen Vater mit einem solchen Instrument Himmelsbeobachtungen hatte machen sehen.
    Als der Kapitän mit dem neuen Kurs der
Aviso
zufrieden war – sie hatten nach Südwesten abgedreht – wandte er sich wieder dem Schweizer zu. »Könnt Ihr mit dem Astrolab umgehen?«
    Sachs schüttelte den Kopf. »Schon die Engelsflügel bringen mich zur Verzweiflung. Die auf Eurem Astrolabium sehen zwar anders aus als jene, die ich einst auf der Zauberscheibe meines Oheims sah, aber mehr vermag ich nicht zu erkennen.«
    s Oheims sah, aber mehr vermag ich nicht zu erkennen.«
    Der Fugger-Agent hielt die Messingscheibe in der linken Hand und fuhr mit dem Zeigefinger der Rechten über die Biegungen und Schwingungen der »Engelsflügel«, wie er die vermutlich mathematischen Kennzeichnungen nannte.
    Der Kapitän folgte mit Blicken der Bewegung von Sachs’ Fingern, wobeiererklärte: »Ihr meint die Kurvenschar. Ja, eine seltsame Zeichnung, die wie zufällig aussieht, und die doch so voller Geheimnisse ist. Man braucht sie, um die wahre Zeit zu berechnen.«
    Amman Sachs verstand nicht. »Was meint Ihr mit ›wahrer Zeit‹?«
    Der Kapitän schien einen Moment zu zögern, als wüsste er nicht, ob er seinen neugierigen Passagier in dieses verwegene Wissen einweihen durfte oder nicht. Dann aber fuhr er fort, indem er den Fugger-Agenten eine Frage stellte: »Ihr wisst, wie viele Stunden der Tag hat?«
    Natürlich kannte Sachs die Antwort, doch er ahnte, dass daran etwas falsch sein würde. »Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang sind es zwölf eherne Stunden.« Und da er nicht allzu dumm klingen wollte, fügte er hinzu: »Und weitere zwölf Stunden für die Nacht. So hat man es mir beigebracht, und so ging es Zeit meines Lebens sehr gut. Doch in Eurer Frage, Kapitän, steckt die Andeutung, dass die Zeit so gar nicht abläuft.«
    Der Kapitän nickte. »Ihr seid ein aufmerksamer und scharfsinniger Beobachter. Ist Euch nie aufgefallen, dass an manchen Tagen die Sonne früher aufzugehen scheint und an anderen später? Dass es im Sommer länger hell und im Winter länger dunkel ist?«
    Sachs wusste immer noch nicht, worauf der andere hinauswollte. »Sicher«, erwiderte er. »Die Sonne verändert ihren Lauf am Firmament. Mal steht sie höher, mal niedriger. Das ändert sich mit den Jahreszeiten. Aber was hat es mit den Stunden des Tages zu tun?«
    Der Kapitän zeigte auf das Astrolabium. »Seht Ihr diese Skala? Sie ist in vierundzwanzig vollkommen gleiche Kreisabschnitte unterteilt. Zwölf für die Stunden der Nacht, und zwölf für die Stunden des Tages. Vierundzwanzig völlig gleiche Kreisabschnitte. Und doch verändern sich unsere Tages- und Nachtstunden mit dem Lauf der Sonne. Mal sind es zwölf kurze Nachtstunden und zwölf lange Tagstunden im Sommer; mal zwölf lange Nachtstunden und zwölf kurze Tagstunden im Winter. Aber immer sind es zwölf Stunden, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang und wieder bis Sonnenaufgang. Aber nie sind es gleiche Stunden . . .«
    Amman Sachs war nie bewusst geworden, dass die Stunden gar nicht gleich waren, ja, dass die Zeit als solche nicht festgefügt war. Es gab nicht
eine
Stunde – es gab unendliche viele unterschiedliche Stunden.
    »Man nennt die üblichen Stunden ungleiche Stunden«, erläuterte der Navigator seinem erstaunten Zuhörer, »weil sie eben nie gleich zu sein scheinen. Sie unterscheiden sich je nach der Jahreszeit, dem Tag und der Stunde des Tages – und wo man sich gerade auf der Erdkugel befindet. Mit den Engelsflügeln, wie Ihr sie nennt, kann man nun diese ungleichen Stunden in gleiche umrechnen. Gleiche Stunden, die exakt den vierundzwanzigsten Teil eines ganzen Tages ausmachen. Ohne dieses Wissen, welche Zeit nach den Gestirnen gerade die wirklich richtige ist, würde kein Seemann je herausbekommen können, wo er sich zu einem bestimmten Zeitpunkt

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