Der Spion der Fugger Historischer Roman
tatsächlich befindet.«
Sachs strich immer noch über die Kurvenschar auf dem Astrolabium. Er war wie gebannt von ihrer Schönheit und ihrer ungeheuren Bedeutung. Sie konnte die Zeit der Menschen in eine kosmisch gültige Zeit verwandeln . . .
Der Kapitän nahm Sachs die Messingapparatur aus der Hand, hob sie hoch und fixierte über einen der Zeiger einen Stern am Nachthimmel an. »Hier auf dem Meer benötigen wir die wahre Zeit. Nicht die üblichen Stunden, die ein Gläubiger allein für seine Arbeit und seine Gebete braucht. Seht dort die Vega im Sternbild der Leier.« Sachs folgte dem Blick des Navigators und erkannte am südlichen Nachthimmel einen Stern, der heller zu sein schien als die anderen. »Mit der Rete des Astrolab, wie der Zeiger hier genannt wird, peile ich die Vega jetzt an und kann so auf der Winkelskala die Höhe des Sterns über dem Horizont ablesen – und davon abhängig, im Bezug auf den heutigen Tag, auf der zweiten Skala die genaue Stunde, bezogen auf unsere Position. «
Ungläubig erkannte der Fugger-Agent die faszinierende Präzision der Apparatur, die das mystische Licht der göttlichen Gestirne mit etwas so Unbegreiflichem wie der Zeit verbinden konnte. »Und wie ermittelt Ihr mit diesem Zaubergerät die Position, wenn Ihr draußen auf den unendlichen Weiten des Meeres seid?«, fragte er schließlich.
Der Kapitän nahm das Astrolabium wieder herunter. »Das ist viel schwieriger. Dafür muss ich die genaue Zeit schätzen und die Zeiger der Apparatur auf der entsprechenden Skala ausrichten; wenn ich dann wieder die Position der Gestirne über dem Horizont ausmesse, kann ich – bezogen auf dem Breitengrad, auf den das Astrolabium ausgerichtet ist – herausbekommen, auf welchem Längengrad ich mich befinde. Der Schnittpunkt von Breiten- und Längengrad ist dann meine Position.
Das Problem liegt darin, dass ich für jeden Breitengrad eine andere Skala in das Gerät einlegen muss. Und bei der Bestimmung der Zeit muss ich mich auf meine Erfahrung verlassen, wenn Wolken die Sicht auf Sonne oder Sterne verwehren, oder ich bin auf der Weite des Meeres verloren.«
Amman Sachs bewunderte noch eine Weile die runde Messingscheibe in den Händen des Kapitäns und versuchte, das verschlüsselte System der vielen Zeichnungen und Gravuren zu begreifen. Doch auch wenn er jetzt erfahren hatte, was man mit einem Astrolabium alles anzustellen vermochte, hatte er noch immer nur einen ungefähren Eindruck davon, wie man dem Apparat diese Magie entlocken konnte.
Mit einem freundlichen Nicken ließ der Kapitän seinen Fahrgast schließlich stehen, um das Astrolabium zurück in seine Kajüte zu bringen. Amman Sachs schlenderte indes im Licht der hellen Nacht über das Deck, am vorderen Fockmast vorbei zum Schiffsbug. Er genoss das sanfte Schaukeln des Schiffskörpers auf den Wellen und freute sich darüber, den vielen Enttäuschungen, die die Alte Welt für ihn bereitgehalten hatte, entfliehen zu können.
»So schickt man Euch also auch einfach weg? Und auch Ihr seht nicht allzu traurig darüber aus.« Sachs hatte die Stimme, die ihn in dieser wundervollen Nacht so unvermittelt ansprach, schon bei der ersten Silbe erkannt.
»Prinzessin Tecuichpo!« Sachs hatte sich umgedreht und sah nun, dass die schöne Mexikanerin mit dem Rücken an den Fockmast gelehnt dastand; deshalb hatte er sie nicht bemerkt, als er eben an ihr vorbeigegangen sein musste. Nun erinnerte sich Sachs, dass der Kapitän davon gesprochen hatte, es sei bereits ein Frauenzimmer an Bord. Damit war also Tecuichpo gemeint!
Sachs konnte seine Freude darüber, die Reise in Begleitung der vornehmen Mexikanerin zu unternehmen, kaum verbergen. Dann verstand er plötzlich, was Tecuichpo eben zu ihm gesagt hatte, und so fragte er: »Warum
müsst
Ihr denn das Land verlassen, verehrte Freundin?«
Der Anflug eines Lächelns, der eben noch den vollen Mund der Mexikanerin umspielt hatte, war bereits wieder verschwunden. Ihre Lippen wurden schmal. »Der Erbe des alten Königreichs Mexiko ist tot, deshalb gibt es für seine Braut keine Verwendung mehr. Eine Zeitlang war sie vielleicht noch als Attraktion für eine Gesellschaft ganz unterhaltsam, aber dann war sie doch zu fremd, zu sehr anders, als dass man sie noch hier dulden konnte.«
Tecuichpo machten eine Pause, ehe sie weitersprach. »Also reise ich nun zurück in das Land meiner Väter. Spanien hat sein Interesse an meinem Volk nun endgültig verloren. Mit meinem Bräutigam und dem Gold meines
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