Der Spion der Fugger Historischer Roman
Volkes scheint auch unsere Bedeutung untergegangen zu sein.« So resignierend ihre Worte klangen, sprach die junge Frau doch mit dem gewohnten ruhigen Stolz.
»Ich glaube nicht, dass der Wert eures Reiches sich allein nach dem des Goldes bestimmen lässt«, entgegnete Sachs, »auch wenn es einige Menschen geben dürfte, die das anders sehen.«
Die junge Frau erwiderte nichts. Doch der Stolz schien nun doch aus ihrem Gesicht fliehen zu wollen, und Sachs erkannte die unendliche Müdigkeit und Trauer, die Tecuichpo beherrschten. Ihr Blick löste sich von ihm, schweifte hinaus auf die nächtliche See und verlor sich in der schieren Unendlichkeit. Schließlich sagte sie: »Die Morgenröte lasset uns erwarten.« Sie sprach, als würde sie aus einer sehnsuchtsvollen Erinnerung einen einstudierten Text von unergründlicher Tiefe rezitieren. Und tatsächlich blieb Amman Sachs die Bedeutung ihrer Worte verschlossen.
»Auf denn!«, setzte Tecuichpo ihre seltsame Rede fort. »Lasst uns ein Zeichen der Verehrung suchen, vor dem wir ein Feuer entzünden! Denn noch haben wir niemanden, der uns behütet.«
Unvermittelt blickte sie Sachs mit dem gewohnt stolzen Ausdruck an. »Endlich denn dämmerte es, und Sonne, Mond und Sterne erschienen. So wurde es Licht durch Sonne, Mond und Sterne. Groß war die Freude der alten Menschen, als sie den Sonnenträger sahen. Schimmernden Antlitzes stieg er vor der Sonne empor. Da holten sie den Weihrauch hervor, den sie aus dem Osten für diese Stunde mitgebracht hatten. Die drei Bündel knüpften sie auf, als Weihegabe ihres dankbaren Herzens. Alle drei hatten ihren Weihrauch. Den verbrannten sie und tanzten zum Osten gewendet. Unter Freudentränen tanzten sie, Weihrauch brennend, den heiligen Weihrauch. Darauf weinten sie nochmals, da es noch nicht hell wurde, da sie der Sonne Antlitz nicht sahen. Dann erschien schließlich die Sonne. Und alle Tiere freuten sich. Alle, bis zum Geringsten, erhoben sich in den Tälern und Schluchten, auf den Höhen versammelten sie sich, und alle schauten gen
Osten!
«
Die schöne Frau verstummte, blickte Amman Sachs noch einen Moment in die Augen und ließ dann wieder mit einem weicheren Ausdruck den Blick übers Meer schweifen. Der Fugger-Agent versuchte die Botschaft zu verstehen, die in diesem irgendwie vertraut und doch so fremd klingenden Zeilen verborgen sein musste. Und da er eben erst mit dem Kapitän des Schiffes über Positionsbestimmungen gesprochen und das Astrolabium sowie den kunstvollen Kompass bewundert hatte, fiel ihm endlich der Zusammenhang auf, auf den die Mexikanerin ihn offenbar aufmerksam machen wollte.
»Osten!«, sprach er laut aus. »Das Licht der alten Völker Amerikas kam aus dem Osten! Wie die Spanier! Sie hadern mit ihren Göttern, nicht wahr? Weil die Guacas das Volk der Mexikaner nicht rechtzeitig vor der Gefahr gewarnt haben, die aus dem Osten kommen sollte. So haben sie alles verloren – ihren Prinzen, ihre Zukunft und das Vertrauen in ihre Götter . . .«
Tecuichpo schloss die Augen und erwiderte: »Ja, in dem Punkt irrten sich meine Götter. Außer dem Sonnenaufgang kam kein weiteres Heil mehr aus Osten. Sie ahnten wohl nicht, wie groß der Osten wirklich war. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit, welche die alten Legenden zu erzählen wissen und die mein Volk in den vergangenen Zeitaltern gesammelt hat. Doch dieses Wissen löst sich langsam auf, zerfällt, verschwindet von dieser Welt. Unsere alten Legenden werden getilgt, und neue werden erzählt. Und ich werde alleine um dieses Vergessen weinen.«
Amman Sachs sah im Mondlicht eine Träne in den Augenwinkeln der Mexikanerin blitzen. Er vermutete, dass es die Traurigkeit eines geschlagenen Volkes war, dass sich dem Verlust seiner alten Traditionen und dem Wandel zu einem noch sehr fremden Leben gegenübersah. Doch die seltsame Theatralik entsprach nicht dem sonst so besonnenen Wesen Tecuichpos. Sachs hatte schon einige Male erlebt, wie sie das Leid anderer Menschen aus echter Zuneigung mitempfand. Aber konnten bloße Geschichten – und mehr waren diese Legenden ja eigentlich nicht – einen solch beherrschten Menschen wie Tecuichpo so traurig machen?
Amman Sachs spürte wieder, dass er diese geheimnisvolle Frau aus einer fremden Welt immer noch nicht wirklich verstand. Egal, mit welchen seiner Erfahrungen er die Mexikanerin auch beurteilen wollte – sein Horizont reichte nicht aus, die rätselhafte Seele und das verborgene Wesen dieser Frau auszuloten. Sie blieb
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