Der Spion der Fugger Historischer Roman
Stadttor, wo er die Wachen bestach, um zu dieser fortgeschrittenen Stunde noch aus der Stadt gelassen zu werden. Denn während die stolzen Kaufleute hinter den sicheren Stadtmauern entweder noch arbeiteten oder längst den Schlaf der Gerechten schliefen, gab es zu dieser Stunde vor den Stadttoren noch allerlei Leben. Etwa im Gasthof »Zum Bärenkeller«, der den zu spät ankommenden Reisenden als Herberge offen stand, wenn sie an den Stadttoren keinen Einlass mehr gefunden hatten.
Wie erwartet war der Gastraum noch gut besucht. Schon von der Landstraße aus hatte Amman Sachs ein buntes Stimmengewirr und lustige Fidelmusik gehört. Gegenüber dem »Bärenkeller« auf einer offenen Wiese hatte zudem eine bunte Wagenburg von der Anwesenheit fahrender Leute gezeugt – Gaukler, Wahrsager und Musikanten. Und tatsächlich sah der Fugger-Agent im fahlen Licht der Kerzen und Laternen die dunklen, geheimnisvollen Gesichter zahlreicher Cigány.
Sachs bahnte sich einen Weg in eine ruhigere Ecke, wo er sich einen freien Platz auf der Bank suchte. Er legte sein Bündel neben sich auf den Tisch und musste nicht lange warten, als der Wirt auch schon einen großen Krug mit warmem Bier vor ihn hinstellte. Sachs trank mit Appetit, hatte er doch die vielen Stunden im Fuggerhaus keine Erfrischung angeboten bekommen.
Als er den Krug absetzte, bemerkte er, dass ihn eine der Cigány-Frauen aus einiger Entfernung beobachtete, oder besser: taxierte. Ihr Blick schweifte auffällig zwischen Amman Sachs’ Reisepacken und seiner im Vergleich zu den übrigen Gasthausbesuchern vornehmen Kleidung hin und her, bis sie dem Agenten der Fugger schließlich fest und herausfordernd in die Augen blickte.
Amman Sachs fielen die wenigen Goldstücke des Mexikaner Schatzes ein, die er immer noch bei sich trug. Vielleicht, überlegte er, war es doch keine so gute Idee, als Erstes hierhergekommen zu sein. Er stand von der Bank auf, stopfte den Bündel unter den rechten Arm, ließ den Bierkrug auf dem Tisch stehen und ging zu der Frau hinüber.
»Interessiere
ich
dich, oder geht es dir um mein Gepäck?«, fragte er.
Die Cigány schien nicht im Mindesten überrascht über die freche Anrede. Sie lächelte, drehte sich um, ging ein paar Schritte, drehte sich wieder um und forderte Sachs mit einem Kopfnicken auf, ihr zu folgen.
Der Fugger-Agent zögerte kurz, nahm die Einladung dann aber doch an und ging hinter der dunklen Schönen her in einen Flur. Die Frau zeigte auf einen Durchgang zu einem Treppenabsatz, der in die Tiefe zu den Kellerräumen führte.
Wieder ging die Cigány voraus und stieg die breiten Stufen hinunter in einen Raum, in dem zahlreiche Fässer aufgestellt waren. Eine zweite Treppe wurde sichtbar, die in einen weiteren, noch tiefer gelegenen Keller führte, in den die dunkle Frau nun hinabstieg. Amman Sachs folgte ihr, wobei ihm die Situation zunehmend unheimlich wurde. Seine Sorge wurde dadurch gesteigert, dass nun aus den zunehmend spärlicher beleuchteten Tiefen immer deutlicher ein vielstimmiges Grollen zu hören wurde, dessen Ursprung der Fugger-Agent nicht zu deuten vermochte. Gleichzeitig nahm er einen scharfen, unangenehmen Gestank wahr, wie wilde Tiere ihn verströmten.
Im zweiten Kellergeschoss angekommen zeigte die Frau in die Dunkelheit hinein. Nachdem sich Sachs’ Augen an das schummrige Licht gewöhnt hatten, erkannte er mehrere Bären, die mit Ketten an die Wand gefesselt waren.
»Natürlich, die Tanzbären«, erinnerte Amman Sachs sich beim Anblick der Tiere an den Ursprung für den Namen des Gasthofes, in dessen tiefe Keller er gerade mit unbekanntem Ziel hinabstieg.
Auf einer dritten Treppe führte die Frau ihn in ein weiteres Kellergeschoss, in dem Amphoren an den Wänden lehnten, in denen offenbar Wein oder Öl auf ihre Verwendung warteten. Von hier schließlich führten weitere Stufen noch tiefer in eine unterirdische Etage. Längst hatte natürlicher Fels die alten Grundmauern des Gasthauses abgelöst, und der scharfe Gestank des Bärenurins war in dem noch tiefer gelegenen Kellerbereich dem Geruch von Moder gewichen.
Zu Sachs’ Erstaunen zeigte eine Falltür im Boden an, dass es
noch
tiefer gehen musste.
Mit dem rechten Fuß stampfte die Cigány-Frau drei Mal auf die hölzerne Luke. Dann herrschte für einen Moment Totenstille, da hier unten selbst das Grollen der Bären nicht mehr zu vernehmen war. Schließlich kniete sich Amman Sachs’ schöne Begleiterin hin und öffnete mit einiger Anstrengung die
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