Der Spion der Fugger Historischer Roman
Hahnenschrei erwacht, und auch hier konnte er ohne Probleme die Wachtore passieren. Die langen Fassaden der Faktorei mit ihren vielen Wohnungen umschlossen ein eigenes Viertel, das nach außen wie eine Stadt in der Stadt verschlossen werden konnte. Der alte Jakob Fugger, der die Armensiedlung einst erbauen ließ, hatte den Einwohnern der Fuggerei ein strenges Reglement auferlegt: Sie mussten jeden Tag besondere Gebete für ihren berühmten Gönner leisten, um ihm so sein Seelenheil zu sichern, und zudem strenge Nachtruhe einhalten. Dafür wohnten sie nahezu mietzinsfrei in den schmucken Häusern des Viertels; die Wohnplätze waren sehr begehrt beim einfachen Volk.
Amman Sachs allerdings konnte der Fuggerei nichts wirklich Gutes abgewinnen. Nicht kommen und gehen zu können, wie er wollte, empfand er als Bevormundung, auch wenn er dank einer der großzügigen Verwalterwohnungen privilegierter war als die übrigen Leute in der Siedlung. Und die pflichtschuldigen Gebete überließ er seiner Gattin, die diesen Fron stets gerne leistete, weil sie bei dieser Gelegenheit Gott den Herrn auch gleich um ein wenig mehr eigenes Glück anflehen konnte.
Amman Sachs’ Wohnung lag noch still da, als er die unverriegelte Haustür öffnete und eintrat. Er überlegte kurz; dann schloss er die Tür wieder und schob nachdrücklich und geräuschvoll den schweren Eisenriegel vor. Er lauschte, aber nichts regte sich in den wenigen Zimmern, die seine Heimstatt sein sollten und die ihm bisher doch so fremd geblieben waren wie eine der Indiohütten, die er außerhalb von
Nombre de Dios
gesehen hatte.
Als Sachs sich an seine weiten Reisen der letzten Monate erinnerte, an die vielen neuen Eindrücke und Bilder, wurde die Enge in der Fuggereiwohnung noch schmerzlicher. Er empfand regelrechte Beklemmung bei dem Gedanken, nun wahrhaftig zu Hause zu sein, am Ende eines Weges. War das hier das Ziel all seiner Reisen und Abenteuer? Das Ziel all seines Strebens? Der einzige Preis für seine Mühen, den es für ihn zu gewinnen gab?
Amman Sachs fühlte Hoffnungslosigkeit in sich aufsteigen.
Als wollte er vor seinen eigenen Empfindungen fliehen, öffnete er schnell die Stubentür und betrat den adrett aufgeräumten kleinen Raum. Er sah sich kurz um: Nichts in diesem Zimmer erinnerte daran, dass er hier wohnte. Die Möbel waren wuchtig und solide, doch der Fugger-Agent wusste nicht einmal genau, was darin aufbewahrt wurde.
Sachs erinnerte sich, dass sein eigener Vater daheim auf ihrer alten Burg in der Schweiz einen besonderen Platz im großen Saal hatte, von dem aus er Hof hielt oder zumindest am liebsten die Abende im Kreis seiner Familie verbrachte. Vielleicht war gerade ein fahrender Spielmann zu Gast, der noch den Minnesang der alten Zeit kannte. Dann war der große Raum von der Musik erfüllt, und die Gesichter der Anwesenden zeugten von der Heiterkeit, die dieses Erlebnis jedes Mal verursachte. Wenn bei einer solchen Gelegenheit seine Mutter und sein Vater vertraute Blicke voller Lachen und Fröhlichkeit tauschten, war das Glück für den jungen Amman Sachs perfekt.
Doch um wie viel anders hatte sein eigenes Leben sich entwickelt. Er reiste selbst wie der Spielmann seiner Kindheit durch die ganze Welt, stets Gast anderer Leute. Ohne ein eigenes Zuhause. Und das, was sein Zuhause sein sollte – seine warme, liebevolle Heimstatt –, war ihm ein Graus, um den er lange wie ein geprügelter Hund herumschlich, bis er endlich doch sich durch den Eingang stahl, weil er sonst nicht wusste, wohin er gehörte.
Nein, nicht einmal einen besonderen Platz hatte er in dieser Wohnstube. Einen Lieblingsplatz, wo er an langen Winterabenden gerne würde verweilen wollen, um seiner Frau bei den Handarbeiten zuzuschauen und an irgendeiner Korrespondenz zu arbeiten.
Irgendwo in der Wohnung entstand Bewegung. Amman Sachs hörte bloße Füße über Holz scharren und Türen knarren. Er selbst stand noch unschlüssig in der Wohnstube und verließ sie schließlich, um in die Küche zu gehen. Hier könnte er sich vielleicht nützlich machen, indem er sich um das Feuer kümmerte. Doch als er die Küche betrat, sah er seine Frau Johanna, die bereits die letzte Glut des Vortags mit Reisig und Holzspänen neu entfacht hatte.
»Johanna!« Das war die ganze Begrüßung, die Amman Sachs über die Lippen brachte. Seine Frau sah nur kurz von ihrer Arbeit auf, nickte ohne eine Spur der Freude, ihn wiederzusehen, und widmete sich sofort wieder dem Feuer. Sie legte ein paar
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