Der Spion der Fugger Historischer Roman
er um die Goldmünze herum auf den Tisch.
Gemma hatte mit ihrem nervösen Spiel aufgehört und war zu Amman Sachs getreten, um zu verfolgen, was er tat.
Sachs bedeutete ihr zu schweigen; dann strich er mit dem Rosenobel über die kleine Schieferplatte und zeigte Gemma den dabei entstandenen goldenen Strich, den sie ein wenig ratlos betrachtete. Doch als Sachs ein wenig von der Reagenz auf die Schiefertafel tropfte und sich bald eine Gasblase bildete, nickte sie erkennend: Sie hatte verstanden, was ihr Oheim tat.
Der führte nun mit der Goldnadel aus dem Etui, das Gold von der höchsten bekannten Güte enthalten sollte, den Vergleichsstrich aus. Und wieder entstanden nur zwei kleine Gasbläschen. Der Fugger-Agent folgerte daraus, dass das Gold der Goldmünze noch ein wenig besser sein musste als das der Vergleichsnadel.
Sachs war erschüttert. Er musste an sein Gespräch mit Thomas Gresham denken. Ja, die Welt stand vor gewaltigen Veränderungen, wenn es so einfach war, edelstes Gold aus so etwas Gewöhnlichem wie Quecksilber herzustellen.
Gemma betrachtete immer noch die Schiefertafel mit den Goldproben. Sie schien sich ihre Worte reiflich zu überlegen. Schließlich sagte sie: »Wenn der Alchemist im White Tower tatsächlich ein Adept ist, der Gold höchster Güte kochen kann, wird es verheerend für den Handel sein. Was unbegrenzt verfügbar ist, verliert seinen Wert. Das hat mein Vater mir noch beibringen können – so jung ich auch gewesen bin, als er starb.«
Amman Sachs nickte beipflichtend. Gemma hatte die Bedrohung, die von der Entdeckung der Alchemisten ausging, richtig erkannt. Er selbst hatte ja mit eigenen Augen gesehen, wie einfach es war, größere Mengen vom künstlichen Gold herzustellen. Und der Fugger-Agent erkannte immer deutlicher, wie weitreichend die Bedrohung war, die von dieser neuen Situation ausging.
»Es wird schwer für König Philipp, aus seinen spanischen Kolonien Gewinn zu ziehen, wenn sein Gold aus Neuspanien sich gegen diese Münzen wird behaupten müssen«, mutmaßte er. »Die Engländer überschwemmen den Markt regelrecht mit ihren Rosenobel. Wie soll Philipp seine Söldner bezahlen, wenn sein Gold früher oder später nichts mehr wert ist?«
Stumm ergänzte Sachs: Und was wird aus den Fuggern, wenn ihre in Gold bemessenen Kredite allein mit der Arbeit einiger Nächte beglichen werden könnten?
Sachs wusste jetzt, warum der Adept namens Talbot im Kerker des Tower of London eingesperrt worden war: Talbot war kein Gefangener, sondern der kostbarste Besitz des Königreichs. Wenn die Fähigkeiten dieses Mannes bekannt wurden, würde jeder Herrscher der Welt mit allen Mittel versuchen, ihn zu bekommen. Es war mehr als ratsam für die Engländer, Talbot in der sichersten Festung der Welt unterzubringen, um ihn vor dem Zugriff feindlicher Mächte zu schützen. Dass er, Amman Sachs, bis zu der Alchemistenküche hatte vordringen konnte, war pures Glück gewesen, erkannte er jetzt. Oder Pech, wenn man bedachte, was nun auf Gemma und ihn zukommen konnte. Denn am Leben lassen konnten die Engländer ihn auf keinem Fall mehr.
Sachs erhob sich, um die Papiere und Dokumente, die er noch bei sich trug, im Kamin zu verbrennen. Eigentlich ein Wunder, dass man sie ihm noch nicht abgenommen hatte. Doch wenn er die Unterlagen behielt, würden sie andere Menschen nur unnötig in Gefahr bringen.
16.
Zwei Tage verbrachten Gemma und Amman Sachs in ihrem luxuriösen Gewahrsam. Sie wurden gut versorgt mit schmackhaftem Essen und frischem Bier, wobei der Fugger-Agent stets mit einem mulmigen Gefühl von den Speisen aß, aus Angst, sie könnten vergiftet sein. Doch nichts geschah. Auch weitere Verhöre blieben aus. Die einzigen Menschen, die Sachs und Gemma zu Gesicht bekamen, waren die Wachen, die ihnen das Essen brachten.
Als sie dann doch geholt wurden, befürchtete Amman Sachs, dass ihnen eine peinliche Befragung bevorstand. Denn mit der Folter konnte man – so seine Überlegung – noch am besten den plötzlichen und unerwarteten Tod von Gefangenen aus anderen Ländern erklären.
Stattdessen aber wurden sie zu dem eisernen Tor geführt, durch das Sachs bei seiner ersten Inspektion des Towers das Gefolge der Königin die Festung hatte verlassen sehen, um die königliche Barke zu besteigen. Nun wurden Gemma und er auf diesem Weg aus dem Tower gebracht, wobei man ihnen aber nicht einmal die Hände oder gar die Füße fesselte.
Auf dem Landungskai der Festung angekommen erkannte der
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