Der Spion, der mich jagte - Green, S: Spion, der mich jagte - The Spy Who Haunted Me
für einen Moment hätte ich schwören können, sie sehe mich. Sicherheitshalber verbeugte ich mich vor ihr, und als ich aufschaute, sah ich, wie sie mich anlächelte. Eine junge Frau, die das Leben noch vor sich hatte. Seit Jahrhunderten schon Staub und weniger als das. Dann sah sie wieder weg und verlor sich in der Vergangenheit.
Nebel lag auf dem Wasser, und die Lichter in den Gebäuden wirkten wie Strahlen in der Dunkelheit. Über allem lag das allgegenwärtige Rauschen von fernem Verkehr. Ich konnte die Tower Bridge sehen, die so viele Leute mit der London Bridge verwechseln und die Positionslichter von Flugzeugen, die niedrig über der Stadt flogen. Es war drei Uhr morgens, eine Zeit, die die Menschenseele auf die Probe stellt, und ich hatte noch zwei Stunden totzuschlagen. Ich stampfte mit den Füßen, um die Kälte zu verjagen und beschäftigte mich im Geiste mit dem Kreuzworträtsel der Times. Ich schummelte nur, wenn es nötig war und dann auch nur ein bisschen.
Ich sah jetzt schon im Geiste die Sonne über der Stadt aufgehen; die Vorstellung langer Fahnen von blutigem Rot erschien über dem düsteren grauen Himmel. Doch noch war es dunkel. Ich dachte über die Raben nach. Sie waren vielleicht nicht so wichtig, wie Big Aus glaubte, aber ich konnte nicht zulassen, dass ihnen etwas passierte. Wie weit sollte ich dieses Ding laufen lassen, bevor ich eingriff? Ziemlich weit, denn nie im Leben ging es hier nur um die Raben. Big Aus plante mehr, dessen war ich sicher. Ob er nun glühender Republikaner war oder nicht, keiner setzt derart viel Geld aufs Spiel, nur um ein paar Raben zu töten und die Monarchie und England zu düpieren.
Also, was hatte Big Aus vor? Hier gab es alle möglichen Schätze; Objekte der Macht und gefährliche Geheimnisse, die überall in den Gebäuden sicher verwahrt waren. Aber sie waren alle hervorragend bewacht. Einschließlich der Kronjuwelen. Keiner stiehlt das, was England gehört. Am wenigsten der arme Colonel Thomas Blood im Jahre 1671, der es mit dem Sterben so schwer gehabt hatte - nur um festzustellen, dass der Tod alles andere als eine Erleichterung war. Sein Geist war immer noch hier, war dazu verdammt, genau den Schatz zu bewachen, den er versucht hatte zu stehlen. Es ist nie eine gute Idee, die englische Monarchie gegen sich aufzubringen. Die Royals haben einen fiesen Sinn für Humor.
Ich schob meine Hände tief in die Manteltaschen und ließ meine Finger über die praktischen kleinen Spielzeuge gleiten, die der Waffenmeister der Familie mir für diese Operation hatte zukommen lassen. Ein Ass im Ärmel ist immer nützlich. Die beste Verteidigung gegen die Überraschung, die andere einem bereiten wollen, ist, im richtigen Moment eine eigene parat zu haben.
Als die Zeiger der Uhr näher auf die Fünf zu rückten, erschienen die anderen der Reihe nach aus den Frühnebeln. Sie kamen auf mich zu, denn ich hatte die Unsichtbarkeit, die mein Torques mir gewährte, heruntergefahren: Sargnagel Jobe sah sich mit seinem traurigen, gedankenverlorenen Blick um. Der Tanzende Narr war groß und sah wie immer finster drein. Die Seltsame Chloe blickte sich düster um, als ob die Morgenkälte und das beginnende Zwielicht sie persönlich beleidigen wollten. Und Big Aus trug einen sehr teuren Mantel und grinste breit.
»Es ist kalt und feucht und dunkel und schweinekalt«, beschwerte sich die Seltsame Chloe und warf mir einen Blick zu, als sei ich daran schuld. »Ich hasse es, um diese Uhrzeit aufzustehen. Das ist nicht natürlich.«
»Spar dir deinen Ärger auf, Chloe«, sagte Big Aus und rieb fest die großen Hände gegeneinander. »Bewahr ihn in deinem Herzen auf und halte ihn für den Moment bereit, in dem wir ihn brauchen. Ich will die Federn in alle Richtungen fliegen sehen. Sind wir alle soweit?«
»Warum mussten wir so früh hier sein?«, fragte auch der Tanzende Narr. Seine haarigen Beine zitterten deutlich sichtbar unter seinem Kilt. »Es wird noch Stunden dauern, bis die Touristen da sind.«
»Weil es so viel dramatischer ist!«, antwortete Big Aus und grinste immer noch. »Wenn man das Verbrechen des Jahrhunderts begeht, dann muss man das mit Stil tun! Die Geschichte erwartet das von uns! Große Angelegenheiten erfordern große Gesten. Eines Tages wird man einen Blockbuster darüber drehen. Außerdem sind Geister in der Morgendämmerung immer am schwächsten, weil da die Nacht zum Tag wird. Das weiß doch jeder.«
»Ich wusste das nicht«, antwortete der Tanzende Narr
Weitere Kostenlose Bücher