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Der Spion der mich liebte

Titel: Der Spion der mich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Fleming
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seiner Landsleute, ein Idealist. Er sah zwar ein, daß er die Welt nicht ändern konnte, hatte jedoch beschlossen, in Chelsea einen Anfang zu machen, und deshalb den heruntergekommenen Clarion gekauft. Er hatte im Stadtrat und in der für Chelsea zuständigen Organisation der La-bour Party Verbindungsmänner und begann gleich mit einem Blitzstart. Er enthüllte, daß der Bauunternehmer, der den Auftrag für die
    Errichtung eines Wohnblocks erhalten hatte, sich nicht an das Leistungsverzeichnis hielt und nicht genügend Stahl in den Beton einbaute. Die großen Zeitungen übernahmen den Artikel, allerdings nur mit spitzen Fingern, weil die Sache nach übler Nachrede roch, doch das Schicksal wollte es, daß in der Fassade der Bauten Sprünge auftraten. Es folgte eine Ermittlung, der Bauunternehmer verlor den Auftrag und seinen Gewerbeschein, und der Clarion erkor ein Bild von Sankt Georgs Kampf mit dem Drachen zu seinem Symbol. Es folgten andere Kampagnen, und plötzlich lasen die Leute die kleine Zeitung, neue Seiten kamen hinzu, bald erreichte sie eine Auflage von vierzigtausend, und die großen Blätter klauten regelmäßig die Berichte und revanchierten sich dafür ab und zu mit einem Tip.
    Ich lebte mich in meiner neuen Stellung als Assistentin des Redakteurs ein, bekam mehr zu schreiben und mußte weniger herumlaufen, und nachdem ich ein Jahr mitgearbeitet hatte, wurde mir die Ehre zuteil, eine eigene kleine Spalte zu bekommen, und »Vivienne Michel« wurde in der Öffentlichkeit bekannt. Mein Gehalt stieg auf zweiundzwanzig Pfund. Len fand, ich mache meine Sache gut, es freute ihn, daß ich die Leute zu nehmen wußte, und er lehrte mich eine Menge über die Kunst des Schreibens: Wie man den Leser mit kleinen Tricks schon mit der Einleitung fesseln konnte, daß man kurze Sätze machen sollte, und vor allem, daß man über Menschen schreiben sollte. Das hatte er beim Express gelernt, und er bläute es mir unermüdlich ein. Er hatte zum Beispiel die Omnibuslinien 11 und 22 aufs Korn genommen und nörgelte dauernd an ihnen herum. Einer meiner vielen Berichte über dieses Thema begann folgendermaßen: »Die Schaffner der Linie 11 beschweren sich, daß ihr Fahrplan während der Stoßzeiten zu knapp berechnet ist.« Len strich das sofort durch. »Leute, Leute, Leute! Sie müssen das so formulieren: Frank Donaldson, ein aufgeweckter junger Mann von siebenundzwanzig Jahren, hat eine Frau, Gracie, und zwei Kinder, Bill, sechs, und Emily, fünf. Und er hat einen Kummer. >Seit den Sommerferien habe ich abends meine Kinder nicht mehr zu
    Gesicht bekommen<, erzählte er mir in dem sauberen kleinen Wohnzimmer im Haus in der Bolton Lane 36. >Wenn ich nach Hause komme, sind sie schon im Bett. Sehen Sie, ich bin Schaffner bei der Linie 11, und seit der neue Fahrplan in Kraft getreten ist, sind wir regelmäßig eine Stunde zu spät dran.<« Len hielt inne. »Verstehen Sie, was ich meine? Menschen arbeiten in diesen Bussen. Sie sind interessanter als die Busse. Jetzt ziehen Sie los, spüren einen Frank Donaldson auf und bringen ein bißchen Leben in Ihre Geschichte.« Billig, dachte ich, Bauernfängerei, aber so ist nun mal der Journalismus.
    Ich blieb noch zwei Jahre beim Clarion, bis ich einundzwanzig geworden war. Ich bekam Angebote von den großen Zeitungen, dem Daily Express und der Daily Mail, und es schien mir an der Zeit, S. W. 3 den Rücken zu kehren und in die Welt hinauszugehen. Ich lebte noch immer mit Susan zusammen. Sie hatte eine Stellung beim Außenministerium, über die sie sich beharrlich ausschwieg, und einen Freund, der mit ihr in derselben Abteilung arbeitete. Ich wußte, daß es nicht mehr lange dauern würde, bis sich die beiden verlobten, und Susan mich bitten würde, die Wohnung zu räumen. Mein Privatleben war leer und nichtssagend - flüchtige Bekanntschaften und kleine Flirts, vor denen ich stets zurückschreckte. Ich schwebte in der Gefahr, ein kaltschnäuziges, wenn auch erfolgreiches Karrieremädchen zu werden, das zuviel rauchte, zuviel Wodka trank und sich allein aus Büchsen ernährte. Meine Vorbilder waren Drusilla Beyfus, Veronica Papworth, Jean Campbell, Shirley Lord, Barbara Griggs und Anne Sharpley - lauter erfolgreiche Journalistinnen - und ich hatte keinen Wunsch außer einmal so gut zu werden wie sie. Und dann, bei einer Pressekonferenz zur Unterstützung eines Barockfestes in München, lernte ich Kurt Rainer vom V.W.Z. kennen.
    5
    Es goß noch immer in Strömen. In den Nachrichten um acht

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