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Der Spion der Zeit

Der Spion der Zeit

Titel: Der Spion der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcelo Figueras
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ihm zu. Vor ihm lag Ferrers Leichnam, grau wie der Kittel des Gerichtsmediziners.
    »Ich glaube, dass es sich um ein Verbrechen handelt«, sagte Van Upp; er wusste, dass Benet ihm nicht von der Seite gewichen war. »Im Grunde um zwei Verbrechen, aber ausgeführt von ein und derselben Hand. Und ich glaube, die Sache ist noch nicht vorbei. Es handelt sich um ein nicht abgeschlossenes Verbrechen, den Beginn einer Serie. Bevor wir weiter ermitteln, sind allerhand Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Als Erstes müssen die potenziellen Opfer gewarnt und unter Polizeischutz gestellt werden. Das betrifft Exgeneral Prades und Exgeneral Moliner, bekannt als der Henker. Und genau das werde ich als Nächstes tun. Warum ich Ihnen das sage? Damit Sie über meine Schritte informiert sind«, sagte er und entfernte sich Richtung Ausgang.
    Als hätte er etwas vergessen, blieb er plötzlich stehen.
    »Helfen Sie mir auf die Sprünge«, sagte er. »Die Abteilung Eins ist direkt dem Polizeichef unterstellt, nicht wahr?«
    Und dann ging er hinaus, ohne die Antwort abzuwarten.
    Van Upp war zwar kein Gerichtsmediziner, doch auch er wusste einen theatralischen Abgang zu schätzen.
    XVII
    Je nach Art der Brille, durch die man ihn betrachtete, konnte man Álvaro Benet als Kind seiner Zeit (in finsteren Zeiten gelten besondere Maßstäbe) oder als Monster sehen.
    Benet war Sohn eines Schäfers und sah das Militär als Chance, dem unvermeidlichen Schicksal eines Lebens in den Bergen zu entkommen. Er trat in ein Bataillon ein und unterzog sich dem unmenschlichen Drill; auf dem Feld war Benet ein Ass, aber was die akademische Bildung anging, stand er auf völlig verlorenem Posten. Binnen weniger Jahre wurden all seine Kameraden an bessere Stellen versetzt. Nur er lag noch immer auf derselben Pritsche und musste zusehen, wie andere Jungspunde an ihm vorbeizogen. Er wurde zur Zielscheibe ihres Spotts und zum Mahnmal dessen, was sie erwartete, wenn sie sich nicht genügend ins Zeug legten.
    Schließlich fasste er sich ein Herz und bat um Versetzung. Sie wurde ihm sofort gewährt. Man hätte ihm jeglichen Wunsch erfüllt, allein um ihn loszuwerden.
    Als das Leben in seinem neuen Bataillon beinahe schon vollständig demjenigen ähnelte, dem er gerade entflohen war, kamen die Prätorianer an die Macht, und Benet wurde der Polizei »überlassen«. Die Prätorianer unterstützten diese Art Umverteilung von Kräften, denn sie bauten darauf, dass es ein gewohntes Bild für die Bürger war, Polizisten durch die Straßen patrouillieren zu sehen, nicht aber Männer in grünen Kampfanzügen mit Kriegswaffen. Die Anzahl der Polizisten hatte sich somit zwar verdreifacht, doch oberflächlich gesehen blieb das Stadtbild unverändert. Suchte man nach einem Grund für das gesunkene Ansehen der Polizei, wäre es sicherlich nicht falsch, ihn in diesem Tarnmanöver zu sehen.
    Benet hinterließ seine Duftmarke gleich zu Beginn. Seine erste nächtliche Razzia führte ihn in ein Haus im Universitätsviertel. Er trat die Tür ein und sah sich einem Studenten gegenüber. Das Zimmer war vollgestopft mit Büchern, die Wände von Worten übersät und behängt mit Tafeln, auf denen kindliche Losungen standen. Das bartlose, verängstigte Gesicht erinnerte Benet an die Rekruten im Gebirgsbataillon und daran, wie sie gelacht hatten, wenn sie herausfanden, dass es da jemanden gab, der noch unter ihnen stand. Er wünschte, er hätte nie in dieses Gesicht geschaut. Er hörte Schreie, spürte, wie Arme ihn auf die Erde drückten; um sich tretend fiel er zu Boden.
    Später erfuhr er, was er getan hatte. Er hatte den Kopf des Studenten auf den Schreibtisch gedrückt und mit der Remington Rand, auf der er seine Doktorarbeit schrieb, auf ihn eingeschlagen. Schreiend und ohne dass man ihn darum gebeten hätte, hatte der Student Informationen über geheime Treffen und Sympathisanten des bewaffneten Widerstands preisgegeben. Die Informationen hatten sich später mehrheitlich als haltlos erwiesen. Fünf Polizisten waren vonnöten gewesen, um Benet Einhalt zu gebieten, während der sechste den Wortschwall des Studenten zu Papier gebracht hatte.
    Die Geschichte machte schnell die Runde. Er wurde jedem Einsatz zugeteilt, bei dem etwas herauszukriegen war. Schon bald stand sein Name für brutales und effektives Vorgehen. Und sich seiner plötzlichen Berühmtheit bewusst geworden, empfand er so etwas wie Stolz. Selbst dann noch, als er hörte, dass der Student mit der Remington Rand an den Folgen der

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