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Der Spion der Zeit

Der Spion der Zeit

Titel: Der Spion der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcelo Figueras
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heran, dass sie sich fast berührten, und selbst als sein Lächeln erlosch, sah er ihn weiter an. Er war den beiläufigen Körpereinsatz im Gespräch gewohnt.
    »Haben Sie eine spezielle Frage an mich?«
    »Sind Sie in der letzten Zeit bedroht worden?«
    »Nein. Ich bewege mich vollkommen frei in der Stadt. Ich gehe ins Restaurant, zu Verabredungen. Niemand belästigt mich.«
    »Ihre Bodyguards werden den einen oder anderen davon abhalten.«
    »Meine Bodyguards sind sehr diskret. Nicht einmal Sie haben sie bemerkt.«
    »Diskretion, auch diese Eigenschaft hätte ich nicht mit Ihnen in Verbindung gebracht.«
    Prades stürzte den Brandy hinunter.
    »Die Macht ist exhibitionistisch. Man zeigt sie, weil es sie vergrößert. Niemand kann sich diesem Naturgesetz entziehen.«
    »Eine solch philosophische Ader hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.«
    »Die Macht. Das ist mein Thema.«
    »Bedauerlich, dass Sie sich mittlerweile auf Bücher beschränken müssen.«
    »Sie irren. Ich studiere gerade eine andere Variante.«
    »Selbst wenn ich nicht frage, werden Sie es mir erklären, nicht wahr?«
    »Ich meine die Macht, sich so frei zu bewegen wie der normale Durchschnittsbürger. Seit unserer Freilassung haben wir Prätorianer weder Festungen gebaut noch uns ausschließlich an der Seite von Leibwächtern in der Öffentlichkeit präsentiert. Wir fahren unsere Autos selbst. Wir essen in öffentlichen Lokalen. Wir bummeln mit unseren Familien durch die Straßen. Und glauben Sie, uns hat je einer angegriffen? Brust raus – das macht uns unverwundbar. Sobald wir uns mit komplizierten Sicherheitssystemen umgeben würden, wäre manch einer versucht, sie zu knacken. Wenn wir sorglos spazieren gehen, demonstrieren wir, dass wir gegen Angriffe gefeit sind. Und wer uns sieht, glaubt, dass wir es tatsächlich sind. Wie erklären Sie sich, dass bislang noch kein Angehöriger der vermeintlichen Opfer je einen von uns erschossen hat?«
    »Nicht schlecht, die Argumentation. Aber sie lässt etwas Wesentliches außer Acht.«
    »Selbst wenn ich nicht frage, werden Sie es mir erklären, nicht wahr?«
    »Da draußen gibt es jemanden, der tötet Prätorianer.«
    Van Upp setzte seinen Hut wieder auf und ging zur Tür. Nora und Nadal folgten ihm wie Messdiener.
    Er war nur noch wenige Meter vom Auto entfernt, als er Prades sagen hörte: »Sie sind der Polizist, der in der Irrenanstalt war, nicht wahr?«
    Van Upp blieb stehen.
    Nora legte die Hand auf den Mund. Sie war dankbar, dass sie den Gesichtsausdruck ihres Chefs nicht sehen konnte.
    »Wenn Sie damit meine Kompetenz in Frage stellen wollen«, sagte Van Upp ungerührt, »brauchen Sie nur zum Telefonhörer zu greifen und …«
    »Nein, nein, nein«, sagte Prades und kam mit großen Schritten auf ihn zu. Er holte etwas aus der Gesäßtasche seiner Hose.
    Es war eine Visitenkarte.
    »Wenn Sie aus irgendeinem Grund den Polizeidienst quittieren wollen«, sagte Prades, übergab ihm die Karte und reichte ihm die Hand (Van Upp drückte sie, ohne nachzudenken), »rufen Sie mich an. Für Leute wie Sie findet sich immer ein Plätzchen.«
    Van Upp wartete, bis sie ein paar Meter gefahren waren, zerriss die Karte und warf sie aus dem Fenster. Das unangenehme Gefühl jedoch blieb. Wie in einem Reflex schaute er auf die Hand, mit der er die Karte gehalten hatte. In schwarzer Handschrift stand deutlich lesbar Prades’ Name auf seiner Haut; umgekehrt, wie in einem Spiegel.
    Kaum hatten sie das Anwesen verlassen, bat Van Upp Nadal anzuhalten und übergab sich auf dem Seitenstreifen. Eine grüne Flüssigkeit, die aussah wie der Kräutertee, den er als einziges Nahrungsmittel zu sich genommen hatte.
    XIX
    Im Cienfuegos schien es nie Tag zu werden. Pausenlos lief Musik, unermüdlich fütterten die Kneipengäste, glühende Anhänger der populären Hits, die Jukebox mit Münzen. Im Hintergrund hörte man zu jeder Tages- und Nachtzeit das Klacken der Billardkugeln. Sogar das Gelächter und die Flüche ahmten die nervös abgehackte Diktion der Kugeln und Billardqueues nach.
    Obwohl das Bier in Strömen floss, kam es selten zu Schlägereien. Jeder respektierte Ciro Chomón, den Besitzer des Cienfuegos. Er war ein sympathischer Zeitgenosse mit gesundem Menschenverstand, der jeden Scherz aufsog wie ein Schwamm und den Provokateuren damit den Wind aus den Segeln nahm.
    Ciro fehlte ein Bein. Aber das war nicht der Grund, warum die Gäste sich im Zaum hielten; Ciro stand hinter der Theke, und viele wussten nichts von der

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