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Der Spion der Zeit

Der Spion der Zeit

Titel: Der Spion der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcelo Figueras
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Schläge gestorben war.
    Er wurde zum Sergeanten befördert. Schnell lernte er, aus den Einsätzen Vorteile zu schlagen. Wer in den dunklen Verliesen des Geheimgefängnisses verschwand, verlor alles, und Benet war einer der Ersten, die sich ihren Anteil an der Beute sichern konnten. Erstaunlicherweise entwickelte er so etwas wie guten Geschmack. Seine Wohnungseinrichtung bestand aus einer Ansammlung von Zierrat, den man dem Feind abgejagt hatte: Porzellan, Jugendstillampen, Zeichnungen renommierter Künstler. Und in seinem Schrank befanden sich Anzüge und Düfte der edelsten Marken; einige Parfums waren freilich zu süß für einen Mann. Benet war sich der Kluft zwischen seinem wahren Wesen und dem Bild, das er von sich hatte, nicht bewusst.
    Als das Prätorianerregime fiel, ging er davon aus, dass man ihn verhaften und für seine Siegeszüge als Soldat zur Rechenschaft ziehen würde. Mit Gewehren, Pistolen und Granaten verbarrikadierte er sich in seinem Haus. Er hatte einen Schlachtplan entwickelt, um Tür und Fenster gegen ein kleines Heer zu verteidigen. Er bezog seinen Posten und wartete.
    Am zehnten Tag stöpselte er das Telefon wieder ein und rief die Bank an, er wolle sein Sparkonto auflösen. Er hob das Geld ab und ging zu einem Reisebüro. Eine Stunde lang ließ er sich über die verschiedensten Ziele beraten. Entscheiden konnte er sich für keins.
    Eine Woche später ging er wieder zur Arbeit. Es gab ein paar Scherze über den Urlaub, den er ohne Absprache genommen hatte, aber ansonsten wurde er nicht weiter behelligt. Er fragte, was zu tun sei. Man sagte ihm, er solle sich der ersten Streife anschließen, die vom Hof fuhr.
    In den folgenden Monaten wurde er nur einmal einbestellt, um bei einem kleinen Verfahren auszusagen. Er wählte den besten Anzug und das beste Parfum, erschien pünktlich und antwortete auf alle Fragen mit »Nein« oder »Ist mir nicht bekannt«. (Für Benet klang »Ist mir nicht bekannt« eleganter als »Ich weiß nicht«.) Weitere Befragungen fanden nicht statt. Niemals wurde ihm der Prozess gemacht.
    Das Leben ging weiter.
    Doch sein Dasein war fortan mit einem Mollklang unterlegt, der an seinen Nerven zerrte. Er litt unter Verfolgungswahn. Er fühlte sich beobachtet und glaubte, man würde nur auf den geringsten Fehler seinerseits warten, um über ihn herzufallen. Deshalb keimte ein Hoffnungsschimmer in ihm auf, als der Polizeichef ihn zu sich bestellte. Dieser Anruf konnte nur der Vorbote einer Veränderung sein, die er mit aller Macht herbeisehnte.
    Die Art des Auftrags überraschte ihn.
    »Es geht um Van Upp«, sagte der Polizeichef. »Ihnen ist sicher bekannt, dass man ihn mit dem Fall unserer illustren Toten betraut hat. Nein, sagen Sie nichts, ich sage Ihnen, es ist ein politischer Schachzug. Die Entscheidung wurde an oberster Stelle gefällt, aber wenn die Sache schiefgeht, ist es mein Kopf, der rollt. Den letzten beißen die Hunde.«
    Der Polizeichef warf einen Blick auf Benet, der seinen Hut auf den Knien mit beiden Händen umklammert hielt. Dieser Mann hatte wirklich nicht die leiseste Ahnung, was man von ihm wollte.
    »Sie müssen einen Riss in Van Upps Rüstung finden. Etwas, das man gegen ihn verwenden kann. Wühlen Sie, bohren Sie, helfen Sie mit Geld nach. Seine Geschichte ist turbulent. Hören Sie mir überhaupt zu?«, fragte der Polizeichef, irritiert von Benets kuhäugigem Blick.
    Mehr sagte er nicht, und auch für Fragen blieb kein Raum. Benet war nicht sehr helle, aber zu fragen hätte er doch einiges gehabt. Über die Theke des Cienfuegos gebeugt, in dem er schon Stammgast war, als er noch billige Anzüge trug, fragte er sich, welchen Sinn es hatte, einem Kämpfer wie ihm eine Geheimdienstaufgabe zu übertragen. Es sei denn, der Polizeichef wollte ihm hinter Van Upps Rücken die Leitung der Ermittlungen übertragen. Aber auch das war absurd, es war nicht die Art von »Ermittlungen«, auf die Benet spezialisiert war.
    Er spürte eine Leere im Magen. Es war schon spät, und er konnte sich nicht entsinnen, außer dem Kaffee am Morgen etwas zu sich genommen zu haben.
    Die Aussicht, es mit Van Upp aufnehmen zu müssen, verursachte ihm körperliches Unbehagen. Er war ihm damals nicht begegnet, aber das, was er von ihm gehört hatte, brachte ihn ins Schwitzen. Ein brillanter Kopf. Gebildet. Unberechenbar. Und soweit man das beurteilen konnte, hatte er Freunde in den oberen Etagen.
    Eine Ahnung davon, was der Polizeichef in Wahrheit von ihm wollte, huschte schemenhaft

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