Der Spion der Zeit
durch seinen Kopf. Er bemühte sich, sie nicht in Worten Gestalt annehmen zu lassen. Und er stürzte sein Bier herunter, als läge ihm der Gedanke auf der Zunge und er müsse ihn einfach nur hinunterspülen.
XVIII
General Prades wohnte in Los Pilares, einem Villenviertel am Stadtrand. Sein Haus lag am schönsten Ufer eines künstlichen Sees, dem es nicht einmal während der schlimmsten Dürrephasen an Wasser mangelte. Von den höher gelegenen Stadtvierteln aus konnte man sehen, wie sich der See dort an den Wochenenden mit weißen Segelbooten füllte.
Prades’ Anwesen war im Stil der Häuser der amerikanischen Südstaatenaristokratie gehalten: schmale Säulen, überdachte Balkone, hohe Fenster. Van Upp erinnerte sich, dass in einem Zeitschriftenartikel das Familienvermögen von Prades’ Frau erwähnt wurde. Es beruhigte ihn, dass die Eleganz des Hauses nicht dem Militär, sondern der angeheirateten Familie zuzuschreiben war.
Van Upp, Nadal und Nora Duarte warteten in der riesigen Empfangshalle. Nadal rührte sich nicht vom Fleck, als hätte er jegliche Initiative eingestellt, bis der Diener sein Versprechen erfüllte und ihnen Prades brachte. Nora bestaunte die symmetrische Konstruktion (die Eingangstür mit der Treppe zur Linken hatte gegenüber, auf der Parkseite, ein identisches Pendant), und es kam ihr ein Bibelzitat in den Sinn: »Die linke Hand soll nicht wissen, was die rechte tut.« Van Upp trat an eins der großen Fenster heran und warf einen Blick auf die Veranda und den im Sonnenlicht glitzernden See.
Am Rand des Gartens, in Richtung Allee, stand ein Wagen. Vier Holzräder, ein winziger Bock; eins dieser Gefährte, die in stockfinsterer Nacht durch die Straßen der Stadt fahren und aus dem Müll gerettete Sachen transportieren. Der Wagen war bis obenhin beladen. Davor gespannt war ein Pferd. Doch keiner dieser plumpen Gäule, der nicht unter seiner Mähne hervorsieht und deshalb umso besser auf die Zügel reagiert. An dem anmutig geschwungenen Hals, der hohen Brust und den zierlichen und dem nervösen Trappeln erkannte Van Upp, dass es sich um ein Rassepferd handelte. Das Gewicht des Wagens ging über seine Kräfte. Aber drei Männer prügelten mit Peitschen auf es ein, als glaubten sie, ihm so die körperliche Schwäche austreiben zu können. Plötzlich stülpte einer dem Pferd eine schwarze Stofftüte über den Kopf, so dass es gar nichts mehr sah. Ängstlich schnaubend fing es an zu bocken. Der Wagen bebte.
»Da muss aber einiges an Verkehrsdelikten zusammengekommen sein. Sind Sie deswegen hier?«, fragte Prades.
Er trug Reitkleidung und ein leichtes Hemd. Die Stiefel waren blitzblank, nur die Hose hatte ein paar den Gesamteindruck trübende Flecken. Er war massiger, als Van Upp den Fotos nach vermutet hatte. Doch ansonsten entsprach er den Bildern vollkommen: Die Zeit war mit dem grausamsten der Prätorianer barmherzig umgegangen.
»Mein Name ist Van Upp, Duarte, Nadal«, lautete die knappe Vorstellung. »Nein, wir sind nicht wegen Verkehrsverstößen hier, sondern wegen …«
»Meiner toten Kollegen? Wie soll ich Ihnen da weiterhelfen? Ich habe sie seit Ende der Prozesse nicht mehr gesehen.«
»Und Sie haben nicht einmal miteinander telefoniert?«
»Wozu? Ferrer wollte vergessen. Abellán lebte nur noch in der Vergangenheit. Und mein Blick ist immer auf die Zukunft gerichtet.«
»Diese Todesfälle waren nicht das Werk des Schicksals. Auch wenn wir keine Botschaft des Mörders gefunden haben und hinsichtlich des Motivs im Dunkeln tappen …«
»Soll ich Ihnen beim Nachdenken helfen?«
»… glauben wir, dass er weiter töten wird. Und Sie könnten sein nächstes Opfer sein.«
»Hier kommt keiner rein.«
»Wir sind reingekommen. Und soweit ich weiß, hat uns niemand nach unserem Ausweis gefragt.«
»Ich habe meine Vorkehrungen getroffen. Das tue ich immer«, sagte er und ging auf einen Schrank zu, in dessen Innerem sich eine Vielzahl von Flaschen befand.
Nora fasste Van Upp am Arm und deutete nach oben. Am oberen Ende der Treppe stand ein Mann mit einem Gewehr. Nadal machte eine Kopfbewegung in die entgegengesetzte Richtung: Ein zweiter bewaffneter Mann bewachte die Halle von der anderen Treppe aus.
»Ich biete Ihnen nichts zu trinken an, denn Sie sind ja im Dienst. Ich möchte nicht, dass Sie meinetwegen gegen die Vorschriften verstoßen.«
»Offensichtlich haben Sie Ihre Gepflogenheiten im Ruhestand geändert.«
Prades lachte. Mit dem Glas in der Hand kam er so nah an Van Upp
Weitere Kostenlose Bücher