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Der Spion der Zeit

Der Spion der Zeit

Titel: Der Spion der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcelo Figueras
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phosphoreszierenden Algen in den Gewässern Polynesiens denken. Die Linien bildeten eine Art Sternbild, Licht verschüttet wie Milch, ein magischer Pfad.
    Ein weiterer Blitz löschte die Szene für einen Moment aus; der Donner war diesmal näher und lauter.
    »Los, an die Arbeit! Tun Sie, was Sie können!«, sagte Van Upp zum Fotografen und rannte in den Park; beinahe stieß er mit den beiden Männern mit den Zylindern zusammen, die ihren Teil der Aufgabe bereits erledigt hatten.
    Nora folgte ihm ungefragt.
    »Sehen Sie?«, fragte Van Upp und zeigte auf ein leuchtendes Oval. »Hier wurde die Hündin gefunden. Sie starb, weil sie den Leichnam ihres Herrn verteidigen wollte. Die anderen Hunde … Mindestens sechs, kamen fast alle aus der Nachbarschaft. Der Geruch von Blut. Sie haben sie zerfleischt.«
    »Und Ferrer?«, fragte Nora. Sie deutete auf die Stelle, die am hellsten leuchtete. »Ist er dort gestorben?«
    Van Upp schüttelte den Kopf. Er hob den Arm und zeigte auf ein Beet in der Mitte des Parks, das bis auf ein schwaches Leuchten an den Rändern dunkel war.
    »General Ferrers Körper war blutleer. Wir sprechen hier von vier bis fünf Litern, die aus ihrem angestammten Behältnis verschwunden sind. Nein, da brauchen wir gar nicht erst zu suchen«, sagte Van Upp und marschierte auf das Beet zu. »Überall, aber nicht dort.«
    »Soll das heißen, alles, was wir hier sehen …«
    »Das soll heißen, der Mörder hat ihm das Blut entnommen und damit den Park gesprengt.«
    Am Rand des Beetes blieb er stehen und sah sich um. Er schien etwas entdeckt zu haben und ging zwei Schritte in diese Richtung.
    »Sehen Sie. Der Mörder hat das Blut in einem Gefäß aufgefangen. Als er sich von der Leiche entfernt hat, ist Blut ausgetreten … unbemerkt«, sagte Van Upp und zeigte auf einen Lichtfaden, der sich über die schmale Rasenfläche hinweg und zwischen zwei Rosensträuchern hindurchschlängelte.
    Er blickte sich nach dem Haus um, das hinter ihm lag.
    »Nein«, widersprach er sich. »Warum sollte er das Blut bis ans andere Ende des Parks tragen? Dort gibt es keinen Ausgang. Er muss es auf dem Streifen zwischen Beet und Haus verteilt haben.« Mit einer Handbewegung deutete er auf den hinteren Bereich des Parks, der, wie auf den ersten Blick zu erkennen, abgesehen von vereinzelten Lichtpunkten völlig dunkel war.
    Van Upp ließ den Kopf sinken. Nora fragte sich, ob er nachdachte oder kurz davor war, sich geschlagen zu geben. Sie hörte ihn murmeln: »Sopek?«
    »Ich verstehe nicht.«
    Van Upp sah sie an. Sie hatte das Gefühl, das Herz weite sich in ihrer Brust, der Blick des Ermittlers war voller Angst.
    »Sopek dam?«
    Van Upp hielt sich schützend die Hand vor die Augen, um nicht vom Licht des Blitzes geblendet zu werden, und rannte zurück zum Haus.
    Ein Donner ließ die Erde erbeben.
    Nora fragte sich, was nun zu tun war. Sollte sie ihre Vorgesetzten informieren? Einen Arzt rufen und versuchen, das Vorkommnis zu vertuschen? Handelte es sich um einen Aussetzer aufgrund der extremen Anspannung, oder war …?
    »Nora!«
    Van Upp rief von oben im Haus nach ihr. Vielleicht ein Dachgeschoss oder ein Dienstbotenzimmer, jedenfalls war es das einzige Fenster, das sich in dem kleinen Erker im Obergeschoss öffnen ließ.
    »Könnten Sie mal da weggehen?«
    Sie machte zwei zaghafte Schritte zur Seite. Van Upp lachte, und sie schämte sich noch mehr, als sie es ohnehin schon tat.
    »Sagen Sie dem Fotografen, er soll hier raufkommen«, schrie er über die Vorboten des Gewitters hinweg. Im flüchtigen Licht eines Blitzes sah Nora ihn hastig etwas in ein Notizbuch schreiben, er wollte schneller sein als die Natur.
    Eine Schlacht, die vielleicht schon verloren war. Nora stand inmitten des Parks, voller Furcht, sie könnte auf diese leuchtenden Flecken von unheilvoller Bedeutung treten; da spürte sie die ersten Regentropfen auf ihrer Haut und schloss die Augen.
    XXII
    »Sopek dam ha’adam ha’adam damo yisapek.«
    Van Upp schaute auf und sah sich um. Außer ihm befand sich niemand in der öffentlichen Bibliothek von Santa Clara, einer Prunkhalle mit marmorierten Säulen und einer Decke, die höher war als die der Sixtinischen Kapelle. In einem von ihm nicht einsehbaren Winkel hatte das Reinigungspersonal schon angefangen zu putzen. Er konnte das zischende Geräusch des über den Boden gleitenden Wischlappens hören und die Pause, wenn er in den Wassereimer getaucht wurde.
    Viertel vor sechs. Etwas über drei Stunden noch, bis die

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