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Der Spion der Zeit

Der Spion der Zeit

Titel: Der Spion der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcelo Figueras
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es und hielt es gegen das Licht. Nachdem er es eine Weile angesehen hatte, stellte er es auf die andere Seite des Schreibtischs, vor Van Upp.
    » Juice of cursed hebenon in a vial; the leperous distument«, sagte Van Upp, der sich aufgerichtet und den Hut hochgeschoben hatte.
    »Hamlet. Erster Akt, vierte Szene. Nein, kein Gift. Es ist Wasser. Das Wasser aus Abelláns Lungen. Ihre Intuition war richtig. Erinnern Sie sich, dass Sie mich um eine Analyse gebeten haben? Nun. Es ist kein Trinkwasser.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Es handelt sich um Salzwasser.«
    »Wie im …?«
    »Meerwasser, ja.«
    Van Upp erstarrte wie Lots Frau. Doch seine gelblichen Augen wirkten wie Fenster, hinter denen der Sturm tobte.
    »Wollen Sie damit andeuten, dass er woanders umgekommen ist?«, sagte er. »Dass man ihn im Meer ertränkt und in sein Arbeitszimmer geschleppt hat, damit es so aussieht, als …«
    »Für Andeutungen werde ich nicht bezahlt.«
    »Was ist mit dem anderen Wasser? Mit dem Wasser in Abelláns Arbeitszimmer?«
    Carranza schüttelte den Kopf und lachte. Van Upp war nicht zu unterschätzen.
    »Chapeau«, sagte er und füllte erneut das Glas. »Ebenfalls salzhaltig.«
    »Sonderbar, sonderbar«, sagte Van Upp und ging im Büro auf und ab wie in einem Käfig. »Das Wasser im Arbeitszimmer kam also nicht aus dieser Leitung. Sonderbar.«
    »Das Wasser in den Lungen weist einen leicht höheren Salzgehalt auf …«
    Das Büro wurde in ein plötzliches weißes Licht getaucht. Beide Männer verstummten.
    Erst dann kam der Donnerschlag.
    XXI
    Nora Duarte trug Schuhe mit flachen Absätzen, aber trotzdem musste sie aufpassen, damit sie nicht hinfiel. Der Wind peitschte gegen ihren Regenmantel.
    »Hier entlang«, sagte sie zu den beiden Männern, die mit fünfzig Zentimeter hohen Flüssigkeitsbehältern hinter ihr herliefen.
    Sie verstand ihr eigenes Wort nicht. Man hörte nur den Wind und das Orchester, das er dirigierte: schlagende Türen, den Zimbelklang der Bleche, das Rascheln der Blätter und Papierfetzen, die durch die Straße gefegt wurden.
    Van Upp wartete an der Tür auf sie. Neben ihm stand ein weiterer Mann, ein Unbekannter, um den Hals eine Kamera, die im Wind flatterte, als wäre sie aus Pappe.
    »Ist das die chemische Lösung?«, brachte Van Upp mit Mühe heraus.
    Als Antwort reichte Nora ihm ein Blatt Papier. Ein Blitz erleuchtete die Schrift in roter Tinte, die trotz allem dunkel wirkte.
    Sie eilten durch das Haus, stets dem Ermittler hinterher, der diesen Weg Dutzende Male gegangen war, während er auf sie gewartet hatte. Im Nu waren sie im Garten, der immer noch polizeilich abgesperrt war. Van Upp riss die Banderolen ab und warf sie zu Boden.
    »Sie müssen das Präparat auf der gesamten Fläche verteilen, jeder Zentimeter muss davon bedeckt sein«, sagte er zu den Männern mit den Flüssigkeitsbehältern. Und zu Nora: »Wird das reichen?«
    »Es sind noch zwei Zylinder im Auto.«
    »Wenn es anfängt zu regnen, bevor wir fertig sind, haben wir verloren«, sagte Van Upp. »Dass das Gelände noch nicht blank gespült worden ist, grenzt an ein Wunder, das einzig und allein durch die Fußspuren meiner Kollegen geschmälert wird. Aber mit dem Wunder ist es bald vorbei. Bitte, beeilen Sie sich!«
    Während die Männer sich an die Arbeit machten, lief Van Upp los, um die anderen beiden Behälter zu holen. Nora konnte kaum mit ihm Schritt halten; sie wollte wissen, um was es ging.
    »Es handelt sich um ein chemisches Reagenzmittel«, erklärte Van Upp, während er die Zylinder entlud. Nora zog an einem der Griffe, aber der Behälter war zu schwer. »Trägt man es auf eine Oberfläche auf, ganz gleich wie porös, tritt jede noch so kleine Blutspur zutage.«
    »Wie das?«
    »Wie bei Phosphor. Es bringt sie zum Leuchten.«
    Der Fotograf war ein Polizeibeamter. (Berufsjournalisten tragen keine Waffen unter dem Jackett.) Nora grüßte ihn mit einem gezwungenen Lächeln. Der falsche Fotograf fasste sich lediglich kurz mit der Hand an die Hutkrempe, so sehr nahm ihn das Spektakel in Beschlag, das sich vor seiner Nase abspielte.
    In der nächtlichen Dunkelheit (Van Upp hatte klare Anweisung gegeben: Im Haus durfte kein einziges Licht brennen) bekam der Park einen zunehmend gespenstischen Glanz. Obwohl ihr Blickfeld durch Büsche und Rosensträucher eingeschränkt wurde, erkannte Nora sofort, dass die glänzenden Linien am Boden einem Muster folgten; der Schweif eines Kometen auf ungewissem Kurs. Sie musste an die

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