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Der Spion der Zeit

Der Spion der Zeit

Titel: Der Spion der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcelo Figueras
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hereinzulassen.
    Nora war abgemagert und hatte rote Augen, aber Nadal fand sie attraktiver denn je. (Beziehungen unter Kollegen waren bei der Polizei verpönt, und so fiel Nadal erst jetzt, da Nora zu einer gewöhnlichen Bürgerin geworden war, auf, wie sehr er sich von ihr angezogen fühlte.) Entgegen seinen Erwartungen schien die Wohnung sehr aufgeräumt. Auf dem Tisch im Wohnzimmer befanden sich eine halb ausgetrunkene Tasse Tee und ein aufgeschlagenes Buch mit dem Titel Der Spion der Zeit.
    Als er zur Toilette ging, sah er im Schlafzimmer einen halb gepackten Koffer. Er fragte nach, und Nora sagte, ja, sie gedächte eine Weile zu verschwinden. Reisen, viel lesen, neue Leute kennenlernen. Sie hätte genügend gespart, um sich ein Jahr lang über Wasser halten zu können. Was danach käme, würde sie dann sehen. Zum ersten Mal machte sie sich keinerlei Gedanken um die Zukunft.
    Nadal sagte, er verstehe das nicht. Er habe immer geglaubt, Nora würde in ihrer Polizeiarbeit mehr sehen als einen reinen Broterwerb. Nora gab ihm recht, erklärte ihm aber auch, dass in ihren Augen die Polizei nicht der geeignete Ort war, wenn man wirklich etwas erreichen wollte. Vielleicht, wenn die Regierung eine andere, das Gesetz ein anderes wäre, aber sie hätten es nun mal mit dieser Regierung und diesem Gesetz zu tun.
    Nadal wusste darauf nichts zu erwidern. Nora tätschelte sein Knie und bot ihm noch Tee an.
    Sie stand in der Küche, als Nadal nach Van Upp fragte.
    Nora rührte den Zucker in ihrer Tasse wieder und wieder um, endlos. Nadal dachte, sie hätte ihn nicht gehört, und wiederholte die Frage noch bestimmter.
    »Ich weiß nichts«, sagte Nora.
    Nadal sagte, sein Verschwinden sei nicht überraschend. Für einen Pedanten wie Van Upp müsste es schwer sein zu akzeptieren, dass einer seiner Angestellten – zudem noch eine Frau – ihn geschlagen hatte. Vielleicht sollte man im Delta nach ihm suchen. Oder vielleicht war er in die psychiatrische Klinik zurückgekehrt, um sich eine lockere Auszeit mit Beruhigungspillen zu nehmen.
    Nora unternahm nicht einmal den Versuch, ihn zu verteidigen.
    An der Tür richtete sie Nadals Krawatte und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
    »Leb wohl«, sagte sie.
    VIII
    Niemand hatte mehr etwas von Van Upp gehört. Die Letzte, die ihn gesehen hatte, war eine Nonne in einem Kloster am Rande von Santa Clara gewesen, die ausgesagt hatte, er habe sich an jenem verhängnisvollen Tag ein paar Stunden dort aufgehalten. Seitdem nichts. Nicht die geringste Spur. Unter größter Geheimhaltung (das Letzte, was der Polizeichef jetzt brauchen konnte, war, der Sensationsgier eine neue Angriffsfläche zu bieten) suchte eine Gruppe von Männern der Abteilung Eins Van Upp zu Wasser, zu Lande und in der Luft.
    Aber sie würden ihn nicht finden.
    IX
    Mitten in der Nacht schreckte Nora Duarte aus einem Albtraum hoch. Sie stellte fest, dass sie auf einem kahlen Bett schlief, die Laken und die Bettdecke waren an einer Seite fast vollständig heruntergerutscht. Sie wollte sich an den Traum erinnern. Normalerweise verschwinden die Ängste, sobald man einen Albtraum im Wachzustand betrachtet, und die Geschichte kommt einem kindisch, jedenfalls weniger unverständlich vor; meist bedient sich der Träumende eines absurden Elementes, um die ganze Handlung ins Unglaubwürdige zu ziehen.
    Aber Nora konnte sich an nichts erinnern. Sie hatte den Eindruck, sie habe vor etwas fliehen wollen, aber sie wusste nicht, ob dies tatsächlich Teil einer Erinnerung war oder einfach ein Reflex ihrer antrainierten Reaktionsmuster als Polizistin. (Der Position der Laken nach zu urteilen, hatte sie im Schlaf mit den Beinen gestrampelt.) Weil ihr ihre polizeilichen Fähigkeiten nichts nutzten, blieb eine vage Furcht zurück, die sie nicht mehr einschlafen ließ. Für einen Moment war sie versucht, noch eine Schlaftablette zu nehmen, verwarf den Gedanken aber sogleich: Der kurze Traum war auf chemischem Wege zustande gekommen, und sie wollte das Schicksal nicht herausfordern. Sie legte zwei Holzscheite in die Asche im Kamin und machte sich ein Glas warme Milch.
    Den Spion der Zeit hatte sie zum ersten Mal gelesen, kaum dass sie sich in ihre Wohnung zurückgezogen hatte, im Hintergrund war noch der Lärm der Presseleute zu hören gewesen. Sie hatte unbedingt wissen wollen, worum es ging, und viel Zeit zu lesen. Etwa zwei Stunden nachdem sie ihn getötet hatte, hatte sie das Buch in Benets Auto gefunden, das wenige Meter vom Strand entfernt

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